Robert Steigerwald über revolutionäre Ungeduld und Anarchismus (8)
Wir, die antiautoritäre Linke, die RAF
Harich geht ausführlich auf das Wirken des einstigen Redenschwingers der Pariser Studenten vom Mai 1968 ein, Cohn-Bendit ist gemeint. Als Harich dazu schrieb, konnte er – gestützt auf historische Erfahrungen, das Leben
anarchistischer Führungspersonen betreffend – vielleicht ahnen, was aus Cohn-Bendit mal werden würde. Aber hätte er das geahnt, er hätte Recht gehabt. Der einstige antiautoritäre „Pariser Held von 1968“, der Stürmer gegen das Bollwerk Staat ist zum Sprecher der grünen Fraktion Im Europa-Parlament geworden und hat namens dieser Fraktion Zustimmung zur Europäischen Kommission erklärt. Damals, um 1968 herum, als er seine Granaten aus dem Rowohlt-Haus gegen die Kommunisten schleudern durfte, hat er der revolutionären Ungeduld, dem „Mir geht nichts über mich!“ (Stirners) in die eindrucksvollen Worte gekleidet: „Wir Kämpfen nur für uns und nicht für unsere Kinder und wollen dem Sozialismus keine Opfer bringen!“ Nun, wenn wir sagen, eine bessere Welt ist möglich, geht es uns durchaus auch um unsere Kinder und noch viele weitere Generationen. Die zynische Haltung des französischen Königs Ludwig des XIV ist uns völlig fremd, dieses „Nach mir die Sintflut!“ Harich stellt Typen dieser Art vor die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, wie die Welt nach der Überwindung des Kapitalismus aussehen kann, welche Opfer sie von den Erbauern einer neuen Welt verlangen wird und ob sie angesichts dessen wegen ihrer Ablehnung von Opfern für eine bessere Welt, für unsere Kin der nicht doch besser wäre, den ganzen Revolutionskram in den Orkus zu verabschieden.
Wir haben damals zur RAF und ähnlichen Kräften eine völlig ablehnende Position bezogen. Als einer ihrer juristischen Vertreter mich bat, wir sollten Solidarität mit diesen Leuten üben, habe ich ihm gesagt: Vor Gericht der Bourgeoisie gehören sie nicht, wohl aber vor ein solches der Arbeiterbewegung, denn sie liefern mit ihren Taten der Reaktion alle
Vorwände, den Repressionsapparat auszubauen. Die RAF ist der Sack, den sie schlagen, wir aber sind – um im Bild zu bleiben – der Esel, der gemeint ist.
Und Inge Vieth sagte ich nach ihrer Haftentlassung: Ihr habt den dritten Monat der Schwangerschaft mit dem neunten verwechselt, wobei noch nicht einmal sicher ist, ob überhaupt eine Schwangerschaft vorlag.
Wolfgang Harich:„Jede Empörung also über die Unmenschlichkeiten, die Verbrechen, die Dummheiten, die dem kapitalistischen System immanent sind, jede Auflehnung dagegen muss immer erst auf den Staat bezogen –und das eben heißt: mit der Politik vermittelt, in revolutionäre Politik transformiert werden -, ehe sie sich mit durchschlagener Wirkung und auf Dauer Geltung verschaffen kann.“ (S. 71)
„In welchen Sphären der Gesellschaft als Totalität die systembedingten Widersprüche des Kapitalismus auch zu Tage treten, welche Art von Missständen sie zur Folge haben mögen, erst der parteimäßig organisierte Kampf des Proletariats um die Eroberung der politischen Macht vermag die latenten revolutionären Energien all derer, die unter ihnen zu leiden haben, die gegen sie aufbegehren, zu einer weltändernden Kraft zusammenzuführen und
diese gesammelte, konzentrierte Kraft wie ein Hebel an dem einen, einzigen Punkt anzusetzen, von dem aus das ganze System sich umstürzen lässt. Würde dies von den Revolutionären übersehen werden, so würde der Kapitalismus noch aus der Universalität der von ihm verursachten Übel und Leiden den Vorteil ziehen, den Widerstand seiner Opfer durch Aufsplitterung in Ohnmacht zu halten. Und das eben ist der entscheidende Vorwurf, der vom Standpunkt marxistischer Strategie und Taktik gegen die anarchistische Rebellion zu erheben ist: dass sie den notwendigen unerlässlichen Umweg über die Politik scheuen, gegen alle möglichen reaktionären Erscheinungen des
gesellschaftlichen Lebens direkt losstürmend – „direkte Aktion“ heißt bezeichnenderweise eine ihre Lieblingsstichworte -, ohne etwas anderes zu erreichen, als dass das Interesse Bourgeoisie an der Aufsplitterung der
opponierenden Kräfte nun auch noch durch den diffusen Aktivismus der kampffreudigsten Kräfte, am meisten kampfbereiten Abteilung ihrer Gegner bedient wird.
Denn wie sollte diese Art von Rebellion je etwas anderes erreichen können?
Rührt das „Verunsichern der Institution“ ausnahmsweise den Nerv des Systems, so sind sehr schnell die Polizei, die Strafjustiz und, nötigenfalls, das Militär bei der Hand und haben leichtes Spiel mit einem Widersacher, der
Organisationen und Disziplin der eigenen Reihen aus Prinzip verschmäht“…Harmlos ist das disziplinlose, schlecht organisierte, den unabsehbaren Zufälligkeiten der Spontanität ausgelieferte Vorgehen schon an sich, harmlos das Isoliertsein von den Massen.“ (S. 71) Genossen Von h ier ab bis zur Schlussbemerkung (die nicht gestrichen) auslassen.
Lumpenproletatischer Zynismus
Ich nehme als Beispiel die „Marxistische Gruppe“, deren Nachgeburt sich gegenwärtig in der Zeitschrift „Gegen-Standpunkt“ in einer – das ist allerdings ein qualitativer Unterschied zu dem ehrlich revolutionären Schwarmgeist Rudi Dutschke –zynischen Weise zu Wort melden. Auch dies ist ein Erbe des Anarchismus:
In Thesen gegen den DGB der Marxistischen Gruppe heißt es etwa: „Wer für Arbeitsplätze ist wie der DGB…
- Der meint, dem Arbeitslosen fehlt die Arbeit und nicht Geld.
- Der hält die Profitwirtschaft für ein Beschäftigungsprogramm.“ (S.17)