Schießt die Jugend auseinander, weil sie (fast überall) stört

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Als Test ein Artikel aus der "jungen Welt" vom 15./16.12.2007, Seite 3:


Mosquitofalle gegen Kids

Hochfrequenzwaffe statt Jugendtreffs: Neue Technologie soll »herumgammelnde Jugendliche« aus öffentlichem Raum vertreiben

Von Ralf Wurzbacher
»Ansammlungen Jugendlicher zum falschen Zeitpunkt am falschen Or
»Ansammlungen Jugendlicher zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort können schnell zu einem Ärgernis werden«, meint die Compro Electronic GmbH
Womit bringt Herrchen seinen Wauwau zum Spuren? Mit einer Hundepfeife. Und wie verscheucht man unliebsame Jugendliche? Auf dieselbe Art. Bloß ein schlechter Witz? Mitnichten: Inzwischen sind bundesweit mehr als 700 sogenannter Hochfrequenzgeräte im Einsatz, mit denen es im öffentlichen Raum »herumlungernden« Teenagern an den Kragen gehen soll. Die Apparate senden Pieptöne in einem Schwingungsbereich aus, der in aller Regel nur bis zum Alter von maximal 25 Jahren wahrgenommen wird und die genervten Empfänger in die Flucht schlägt.

Von ihren Betreibern als Wunderwaffe gegen verwahrloste Kids gepriesen, sehen Kritiker darin einen Angriff gegen die Freiheits- und Entfaltungsrechte junger Bürger. So wandte sich diese Woche der Landesjugendring Niedersachsen mit einer Protestnote an die Presse (siehe Spalte rechts). Der Betrieb solcher Apparate zur Vertreibung und Ausgrenzung von privaten und öffentlichen Plätzen sei »menschenverachtend«, empörten sich die Verfasser. Durch ihre Ausrichtung auf bis 25jährige geschehe eine »pauschale Diskriminierung und Verurteilung der gesamten nachwachsenden Generation bei sozialen Problemen im örtlichen Umfeld«.
Elektronische Nervtöter
Das sieht der deutsche Vertreiber der Technik, die Compro Electronic GmbH mit Sitz in Vechta, natürlich anders. In einem Datenblatt wird die kleine, an einen Lautsprecher erinnernde weiße Kiste namens »Mosquito Ultrasonic« als System zur »Zerstreuung von Ansammlungen Jugendlicher« beworben, die am »falschen Ort zur falschen Zeit schnell zum Ärgernis« werden könnten. Über die bevorzugte Zielgruppe des elektronischen Nervtöters macht das Unternehmen keinen Hehl: Die bloße Ansammlung bestimmter Gruppen könne »Kunden davon abhalten, Geschäfte zu betreten, mit dem schädigenden Effekt von Umsatz- und Gewinneinbußen«. Gegen diese Art »unsozialen Verhaltens« verspreche die Maschine Abhilfe.

Das Gerät hat sich trotz des stattlichen Anschaffungspreises von rund 850 Euro inzwischen auch in Deutschland zum Kassenschlager gemausert. Die Feuertaufe bestand es am Alfsee bei Rieste im Osnabrücker Land. Sein »erfolgreicher« Einsatz durch einen anliegenden Gaststättenbetreiber, der wegen »pubertärer Zusammenrottungen« um seine Kundschaft bangte, ebnete ihm erstmals den Weg in die örtliche und regionale Presse. So war beispielsweise zu erfahren, das Gerät diene im Kreis Osnabrück dazu, abendliche Trinkgelage auf einem Spielplatz zu verhindern. Laut einem Bericht des TV-Magazins »Welt der Wunder« auf RTL 2 gehören neben Privatleuten und Geschäftsleuten mittlerweile auch Behörden zum Kundenkreis von Compro Electronic.

Daß hierzulande demnächst Verhältnisse wie in Großbritannien herrschen, wo der »Mosquito« 2005 entwickelt wurde und tausendfach auf Plätzen, Schulhöfen und Straßen, in Parks und an Bushaltestellen sein Unwesen treibt, ist aus zwei Gründen noch nicht ausgemacht. Das Sozialministerium in Niedersachsen hat das Gerät durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin auf mögliche Gesundheitsgefährdungen untersuchen lassen. Nach den seit Freitag veröffentlichten Ergebnissen kann das Institut dem System »keine völlige Unbedenklichkeit bescheinigen«. Insgesamt ließen sich »Risiken für Sicherheit und Gesundheit nicht ausschließen«, bilanzieren die Prüfer (siehe Artikel unten).
Hörverlust möglich
Damit zeigt sich schon, wie wenig die Beteuerungen des Herstellers wert sind, der Einsatz des Geräts sei gesundheitlich gänzlich unbedenklich. Tests der Schweizerischen Unfallversicherung (SUVA) haben dies lediglich für den Fall einer sachgemäßen Installation bestätigt. Andernfalls könne der Schallpegel im Nahbereich sehr wohl »in kurzer Zeit einen bleibenden Hörverlust verursachen«, schreibt der Schweizer Bundesrat in einer Stellungnahme vom 28. November. Völlig ungeklärt sind zudem die möglichen Langzeitfolgen für Gehörapparat und Organismus der Attackierten.

Das Beispiel der Eidgenossen belegt aber auch, woran es gegenwärtig in Deutschland noch hapert: Öffentlichkeit. Im Nachbarland ist längst eine lebhafte Diskussion über den Einsatz der Technik im Gange, die vor allem auch soziale, ethische und rechtliche Fragestellungen berührt. Namhafte Politiker begreifen die Beschallung als ein Gewaltdelikt sowie einen Verstoß gegen Grundrechte wie das Diskriminierungsverbot, die persönliche Freiheit, den Anspruch auf körperliche Unversehrtheit sowie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit. So betrachtet, läßt die Bemerkung von Niedersachsens Sozialministerin, Mechthild Ross-Luttmann (CDU), die »Mosquitos« für den falschen Weg hält, durchaus hoffen: »Auch die Einrichtung interessanter Jugendtreffs kann eine Lösung sein.«

Veröffentlicht in politische Praxis

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