erste Online-Petition schafft die Hürde...

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Es ist ja nicht so, dass ich begeistert wäre, dass es gerade diese Online-Petition ist, die als erste die erforderlichen Stimmen auf sich vereinte. Trotzdem sollte man zweierlei sehen:
1. Es ist möglich, Menschen in relevanter Zahl für eine solche Form der direkten Demokratie zu mobilisieren. Man stelle sich allein vor, der Partei Die Linke (wenn sie denn wollte) würde jeweils zumindest ihre eigene Mitgliedschaft zur Mitzeichnung der eigenen Vorhaben gewinnen können - welche Aufregung dies ergäbe (vielleicht setzte man das Limit einfach höher?)
2. Es gibt bei alle Unkenntnis im Detail (die wahrscheinlich das Konzept der Einreicherin kontraproduktiv für die meisten Betroffenen machte) eine wirklich weit verbreitete reaktionsbereite Verärgerung über das demütigende System der Hartz-IV-Verfolgung unschuldig Arbeitsloser. (Dass die BILD-kompatiblen Schwarzarbeiter ihren Namen für so etwas hergegeben haben, halte ich für weniger wahrscheinlich.)
Bei allen inhaltlichen Risiken - das System direkter Demokratie ist auszubauen. So werden zumindest "die Politiker" gezwungen, ihr Verhalten hinter verschlossenen Türen nach draußen zu begründen - und die Aufgabe aller Linken wir sein, diese "Begründungen" einer Prüfung zu unterziehen. Irgendwann könnten dann Massen bereit sein, das kapitalistische System als Ganzes in Frage zu stellen. (Da wird dann wohl keine Online-Petition ausreichen. Grins)
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www.scharf-links.de 
Beginn einer Massenbewegung?




 

Fast 53.000 Menschen unterzeichnen Online-Petition für ein Bedingungsloses Grundeinkommen

Von Edith Bartelmus-Scholich

Heute um Mitternacht lief die Online-Petition der Greifswalderin Susanne Wiest für ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus. Schon einige Stunden vorher war die notwendige Zahl der 50.000 Unterschriften erreicht worden. Schließlich hatten 52.976 Menschen unterzeichnet. In dem angeschlossenen Forum zur Petition wurde rege diskutiert. 4.278 Diskussionsbeiträge eröffnen Einblick in die Wünsche und Vorstellungen der UnterzeichnerInnen. Gleichzeitig vernetzen sich die DiskutantInnen. Es ist die Rede davon, gemeinsam zur öffentlichen Anhörung im Bundestag zu fahren. Die Formierung einer Massenbewegung liegt in der Luft.

Susanne Wiest hatte die Petition ohne organisatorischen Hintergrund allein gestartet. Götz Werner rief erst zur Unterzeichnung auf, als bereits 30.000 Unterschriften eingegangen waren. Der Andrang auf die Petition wurde jeden Tag größer. Schließlich unterzeichneten stündlich mehr als 500 Menschen, der Server kam an seine Grenzen und brach an einem Tag sogar zusammen.

Dabei hatte nur ein Teil der VerfechterInnen eines BGE sich an der Mobilisierung für die Petition beteiligt. Viele darunter die meisten politisch links eingestellten,  BefürworterInnen beteiligten sich nicht. Sie störten sich zu Recht daran, dass Wiest die Finanzierung des Grundeinkommens aus einer hohen Verbrauchssteuer unter Wegfall aller anderen Steuern vorsieht. Dieses von Götz Werner entworfene Refinanzierungsmodell bürdet die Kosten des BGE sehr überwiegend den "kleinen Verdienern" auf. Diejenigen hingegen, die über hohe Einkommen und Vermögen verfügen würden stark entlastet. Auch zieht die Finanzierung des BGE aus einer hohen Verbrauchssteuer durch Druck auf die Löhne eine Spirale der Verarmung breiter Schichten nach sich. Ohne einen ausreichend hohen Mindestlohn und eine Arbeitzeitverkürzung wird Arbeit nach Einführung des BGE nämlich nicht teuerer sondern billiger.

Nichtsdestoweniger zeigt der Erfolg der Petition von Susanne Wiest, dass sie ein gesellschaftliches Bedürfnis aufgegriffen hat. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist für viele Menschen eine konkrete Utopie. Es ist eine Utopie, für die sich Menschen noch bewegen werden. Sie besticht durch Humanismus. Es ist zudem, die aus der Fortentwicklung der Produktivkräfte resultierende politische Antwort.

Beim Bedingungslosen Grundeinkommen geht es zum Einen um das bedingungslose Ja zu einer menschenwürdigen Existenz für jeden Menschen. Unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg und von der Erfüllung gesellschaftlicher Normen soll jeder Mensch ein Auskommen haben, das gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Niemand soll sich mehr Sorgen machen müssen, ob das Geld morgen noch für drei Mahlzeiten, eine warme Wohnung und gemeinsame Unternehmungen mit anderen Menschen reicht. Niemand soll in die Rolle eines  Bittstellers gegenüber seinen Mitmenschen und der Gesellschaft gezwungen werden. Niemand soll länger von Bürokratien schikaniert und entmündigt werden. Das BGE ist hier die Antwort auf das Armutsregime von Hartz IV. Jeder der Millionen ALG II-Bezieher würde ein bedingungsloses Grundeinkommen als Erleichterung auffassen, selbst wenn es niedrig wäre, denn mit dem BGE wären doch wenigstens  Entmündigung und Entwürdigung durch die ARGE vorbei.

Darüber hinaus geht es den Befürwortern des BGE um eine neue Qualität der Arbeit. Die gesellschaftliche und ökonomische Anerkennung der Tatsache, dass die Produktion gesellschaftlich aber arbeitsteilig ist und, dass in dieser Arbeitsteilung der größte Teil der geleisteten Arbeit, als unverzichtbare Basis für den kleineren Teil, trotzdem nicht entlohnt wird, ist überfällig. Die nicht marktförmig zugerichtete Arbeit steht seit der Einführung der Lohnarbeit gesellschaftlich und ökonomisch im Abseits. Entlohnt wird die Arbeit, die dem Anspruch des Kapitals genügt, anerkannt wird die Position, die der Einzelne in der kapitalistischen Wertschöpfungskette einnimmt. Die Lohnabhängigen denken dabei in Kategorien, die das Kapital vorgibt. Mit dieser Perversion muss Schluss gemacht werden. Die nicht marktförmige Arbeit, die unbezahlten 75% der Arbeit, verlangen mit dem BGE ihr Recht am gemeinsam geschaffenen Reichtum.

Beim gegenwärtigen Stand der Produktionskräfte kann es nicht als Fortschritt bezeichnet werden, die Menschen in fremdbestimmte, abhängige Arbeit zu zwingen. Die meisten Arbeitsplätze können heute mit gutem Erfolg nur noch von Menschen besetzt werden, die "ihre ganze Persönlichkeit einbringen". Unter dem Paradigma der Profitmaximierung bedeutet das mehr als je zuvor, die ganze Persönlichkeit des Arbeitenden für das Kapital zuzurichten. Die Verinnerlichung der die kapitalistische Wirtschaft vorantreibenden Gesetzmäßigkeiten stellt die eigentliche Anforderung dar, die der Neoliberalismus an jeden Lohnabhängigen stellt und die in "Trainings" erwerbslos Gewordenen nahe gebracht werden soll. Millionen Menschen können oder wollen dieser Anforderung ein aktiver Systembestandteil zu werden nicht nachkommen - und dass ist gut so.

Andererseits sind die Produktivkräfte so weit entwickelt, dass sie das System fremdbestimmter, abhängiger Arbeit sprengen können. Selbstorganisierte, selbstmotivierte Arbeit ist schon mehr als eine Nische, auch wenn sie heute noch unter dem Diktat der Profitmaximierung steht. Die Arbeit hat sich schon von fast allem emanzipiert - nur noch nicht von dem Zwang sich zu verkaufen. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde hier eine Bresche schlagen für gesellschaftlich nützliche, nicht marktförmige Arbeit. Die Zeit für diesen Schritt ist gekommen.

Es ist daher die Aufgabe linker, emanzipatorischer Politik die Konzepte zu entwickeln und die Bewegungen zu stärken, die die Arbeit befreien werden, nicht jedoch in den vom Kapital entworfenen und beherrschten Schemata zu verharren.

Edith Bartelmus-Scholich, 18.2.09

Veröffentlicht in politische Praxis

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