Thematische Schwerpunkte linker Kommunalpolitik

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Jede linke Kommunalpolitik, also auch eine kommunistische, die ich als eine Teilmenge linker Kommunalpolitik betrachten würde, ist meines Erachtens per definitionem demokratisch und sozial, sie orientiert sich konkret an den tatsächlichen demokratischen und sozialen Interessen der Menschen. Dabei sind drei inhaltliche Wesenszüge linker Politik vor Ort von besonderer Bedeutung: 

Erstens: Soziale Interessen
Konkret bedeutet dies, dass im Fokus linker Kommunalpolitik immer die Frage steht, ob eine Entscheidung a) der Arbeiterklasse, der Masse der lohnabhängig Beschäftigten, den Erwerbslosen, den Studierenden, den „kleinen Leuten“ dient und wie sie sich b) insbesondere auf die sozial besonders Benachteiligten und Ausgegrenzten auswirkt, auf die MigrantInnen, die Erwerbslosen und GeringverdienerInnen, die Behinderten, die „Queeren“, die Obdachlosen usw. Aber auch, im Sinne des Gender Mainstreaming, auf die Frauen, die in gewissen Hinsichten immer noch eine benachteiligte, wenn auch Mehrheit und nicht Minderheit darstellen.

In unmittelbarem Zusammenhang mit einer praktischen und praktikablen Sozialpolitik der Städte stehen die Finanzen. Die Städte werden von Schulden in Billionenhöhe erdrückt. Und sie zahlen Zinsen an die bundesdeutschen Banken in Milliardenhöhe. Zinsmoratorium und, weiter gehend, Schuldenerlass für alle Kommunen, sind Überlegungen, die von Kommunisten in die Diskussion eingebracht werden. Einig ist sich die politische Linke darüber, dass eine konsequente Anwendung des Konnexitätsprinzips gefordert werden muss („wer bestellt, zahlt“ - wenn Bund und Länder den Kommunen Aufgaben zuweisen, müssen sie ihnen auch die dafür notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stellen). 

So forderte schon 1950 die KPD in ihrem Entwurf für eine Landesverfassung für das Land Nordrhein-Westfalen: „Der Landtag hat ein Kommunalfinanzgesetz zu erlassen. Dieses Gesetz muss den Gemeinden und Kreisen die wirtschaftlichen Mittel zuweisen, deren sie sowohl für die eigenen als auch zur Durchführung der Auftragsangelegenheiten bedürfen“ (Artikel 159) und weiter: „Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Gemeinden und Gemeindeverbänden die zur Durchführung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Geldmittel im Wege des Lasten- und Finanzmittelausgleichs zu sichern. Es stellt ihnen für freiwillige öffentliche Tätigkeit in eigener Verantwortung zu verwaltende Einnahmequellen zur Verfügung“ (Artikel 160). (zitiert nach: Konflikt und Konsens: 50 Jahre Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, Schriften des Landtags NRW, Band 12, Düsseldorf, April 2000, Dokumentation, Dokumente, Das Volk bestimmt sein Recht, Verfassungsentwurf der KPD, S. 19).

„Sparen“ allein wird bei der Finanzkrise der Städte nicht weiterhelfen. Genauso wenig wie der Appell, nicht weiter über „unsere Verhältnisse zu leben“. Wer bitteschön, hat in den letzten Jahren über seine Verhältnisse gelebt? Die Rentnerin mit 680 ? Rente, der Hartz IV-Empfänger? Die alleinerziehende Kassiererin bei ALDI? Die Kollegin, die mich am 1. Mai ansprach und mir erzählte, dass sie 1100 - netto verdient und davon 660 - für die Miete draufgehen? Die Polemik des „über den Verhältnissen Lebens“ entlarvt sich fast von alleine. Fast. Wenn die Kommunen einerseits immer neue, zusätzliche Aufgaben (demnächst z. B. für die Hortversorgung der Unter-Dreijährigen) übertragen bekommen, während gleichzeitig ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen immer weiter sinkt, dann werden sich die Kommunen wie Hamster im Laufrad bewegen mit immer neuen „Sparbeschlüssen“ und Einschränkungen sozialer Angebote. Gleichzeitig wird damit auch der Druck erhöht für Verkäufe öffentlichen Eigentums mit dem Ziel einer Haushaltsentlastung

Zweitens: Demokratische Interessen
In den letzten Jahren ist eine doppelte Entdemokratisierung in der Politik festzustellen: Einerseits eine Machtverschiebung weg von den gewählten Parlamenten hin zur Verwaltung, zur Exekutive. Dies ist besonders auffällig in der zunehmend an Bedeutung gewinnenden EU-Politik, wo ein massives Machtübergewicht der Exekutive zu sehen ist. Aber auch jede kommunale Verwaltungsreform geht in diese Richtung. Was sich jedoch noch gravierender auswirkt, ist die Tatsache, dass seit Jahren versucht wird, parlamentarische Kommunalpolitik immer unpolitischer und damit immer weniger demokratisch zu gestalten. Informationsrechte der BürgerInnen werden (wie z. B. im neuen Baurecht) eingeschränkt, immer mehr Tagesordnungspunkte werden im Rat der Stadt oder in Ausschüssen in nicht-öffentlicher Sitzung behandelt, immer mehr Aufgabenbereiche in privatrechtliche oder semi-privatrechtliche Organisationsformen ausgegliedert, deren Aufsichtsräte oder Betriebsausschüsse nicht-öffentlich tagen. Ein politisches Interesse an einer breiten, offenen und öffentlichen bürgerschaftlichen Debatte über kommunalpolitische Entscheidungen und Perspektiven ist bei den Herrschenden nicht festzustellen. Das zunehmende Aufkommen von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden und von Bürger- bzw. Beteiligungshaushaltsprozessen steht hierzu nicht im Widerspruch. Sie sind vielmehr Reaktion auf diese Tendenz und Ausdruck einer großen Legitimationskrise des Kapitalismus allgemein wie auch der herrschenden Kommunalpolitik im Besonderen. 

Drittens: Der Kampf gegen Privatisierungen
Das Handelsblatt schrieb in der Ausgabe 11/2005 vom „Charme der Staatsverschuldung“, der Privatisierungen öffentlichen Eigentums wesentlich erleichtere. Aus dem (noch) öffentlichen Eigentum lassen sich oftmals Renditen in zweistelliger Höhe erzielen. Private Investoren, insbesondere Fondsgesellschaften, drängen massiv auf diesen lukrativen Markt, nicht erst seit heute, aber in den letzten Jahren verstärkt. Marxistische Kommunalpolitik bestimmt sich in besonderem Maße durch die Ablehnung und Gegenwehr gegen die Privatisierung oder sagen wir besser „Enteignung“ öffentlichen Eigentums. 

„Das Bestreben die kommunalen Kassen leer zu halten hat noch einen anderen Sinn, der uns zwingt auf dem Posten zu sein. (...) Länder, vornehmlich aber Gemeinden, sollen gezwungen werden, ihre wertvollen Betriebe für ein Butterbrot an das Privatkapital abzustoßen. Das ist Veranlassung genug, bei der Haushaltsberatung auch diesem Kapitel größte Beachtung zuzuwenden. Die bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie haben fürwahr den Boden gut vorbereitet, um die Habgier des Privatkapitals zu reizen und schließlich auch zu befriedigen. Sie haben durchweg die Werke in Gesellschaftsformen überführt und damit der Kontrolle durch die Gemeindekörperschaften entzogen.“ Hochaktuell – und doch nicht von heute. Das Zitat ist entnommen der Broschüre „Richtlinien für die Parlamentspolitik der KPD in den Ländern und Gemeinden“ von 1928.

Beim Kampf gegen Privatisierungen kommt es darauf an, den Handlungsspielraum des politischen Einflusses und der öffentlichen Kontrolle, so gering dieser sein mag, nicht gänzlich zu verlieren. Und auch darum, die ökonomischen Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals zu beschränken. Es kommt hierbei also einerseits auf ganz konkrete praktische kommunalpolitische Erwägungen an und geht andererseits um Grundfesten marxistischer Theorie. Denn die Überschuldung der Kommunen ist politisch gewollt. Sie dient dem Ziel Privatisierung, der „Enteigung“ weiteren öffentlichen Eigentums. Hierzu ein Beispiel aus der Praxis: Am 3. Januar 2007 schrieb die FAZ, der Bürgerentscheid in Freiburg, in dem die Bevölkerung den von der schwarz-grünen Ratsmehrheit geplanten Verkauf der städtischen Wohnungsgesellschaft verhindert hatte, habe das „Klima für eine Privatisierung kommunalen Eigentums nachhaltig vergiftet“. Der Freiburger Bürgerentscheid vom 12. November 2006 symbolisiert in besonders augenfälliger Weise das Zusammenwirken der oben beschriebenen Bereiche „Kommune und Demokratie“ einerseits und „Kommune und Privatisierung“ andererseits, wie sie in der Beschlussfassung des letzten DKP Parteitages als Handlungsfelder formuliert worden sind. Mit dem Bürgerentscheid wurde nicht nur die Privatisierung der Wohnungsgesellschaft und der ca. 9 000 Wohnungen in städtischem Besitz verhindert, die kommunalpolitischen Kräfteverhältnisse haben sich durch ihn gewandelt. Das Thema Wohnen und Mieten spielt seither eine viel stärkere Rolle in der politischen Debatte innerhalb und außerhalb des Gemeinderates. Eine Forderung nach Mietstopp, wie sie derzeit in Freiburg von Mieterinnen und Mietern sowie von den Gemeinderatsfraktionen der SPD und der Unabhängigen Listen erhoben wird, auch nur zu diskutieren, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Der gewonnene Bürgerentscheid hat nicht nur als einzelne politische Entscheidung eine Bedeutung, er hat in Freiburg zu einer gewissen (wenn auch natürlich begrenzten) Machtverschiebung zugunsten der Mieterinnen und Mieter, der lohnabhängig Beschäftigten und Erwerbslosen, der „kleinen Leute“, also der Arbeiterklasse geführt. 

Und letztlich müssen wir unsere Politik immer auch daran messen, ob sie über die konkreten tagespolitischen Auswirkungen hinaus auch, und sei es auch nur in Ansätzen, zu einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses beitragen. In fast jedem Quartier haben sich in der Zwischenzeit Mieterinitiativen gebildet, die gegen Mieterhöhungen kämpfen. Dies ist nicht nur gewünscht, es ist geplant, Ausdruck einer kommunalpolitischen Strategie, die versucht Mietenpolitik, aber letztlich jegliche Kommunalpolitik von unten zu entwickeln. 

These 3: Ohne ein Durchbrechen des neoliberalen Konzeptes „Unternehmen Stadt“ wird die politische Linke kein schlüssiges Gegenkonzept zur Sozial- und Finanzpolitik der Herrschenden entwickeln können.

These 4: Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind nicht Ausdruck von mehr Demokratie, sondern Gegenbewegung gegen einen Verlust an Demokratie 



Strategien zur Umsetzung linker Politik vor Ort

In diesem Kapitel möchte ich drei besonders wichtige Faktoren aufzeigen:
An allererster Stelle, und dies ist ein ganz besonderes Merkmal kommunistischer Politik, das ich darum auch schon bei den thematischen Schwerpunkten angesprochen habe, steht seit jeher das Prinzip der Einbeziehung der Betroffenen in die Entwicklung und Umsetzung der Politik. Ich zitiere aus der „Instruktion der Zentrale der KPD für die neugewählten kommunistischen Gemeindevertreter“, Berlin 1924: „Um die Einbringung der Anträge nicht zu einer parlamentarischen Nichtigkeit werden zu lassen, muss mit der parlamentarischen Aktion die wichtigere außerparlamentarische Aktion verbunden werden … Werden besondere Anträge zugunsten der Erwerbslosen eingebracht, so ist vorher eine Versammlung der Erwerbslosen einzuberufen, … bei Anträgen zugunsten der Obdachlosen eine Versammlung der Obdachlosen usw. … Am Tage der Verhandlung im Gemeindeparlament müssen Umzüge der ... Obdachlosen, Erwerbslosen durch die Straßen der Gemeinde auf die Verhandlung aufmerksam machen …“ Für viele Linke, so auch für die Linke Liste-Solidarische Stadt, gibt es ein Primat des außerparlamentarischen Kampfes gegenüber parlamentarischen Erfolgen. Uns leitet die Erwägung, dass einzelne positive Entscheidungen und Beschlüsse eines Parlaments dauerhaft wenig an den politischen Strukturen ändern. Diese unterliegen nur dann einem Wandel, wenn über eine politische Auseinandersetzung, geführt von den Betroffenen, die Parameter, die zu einer Entscheidung führen, selbst verändert werden. Insbesondere die Kommunisten sind der festen Überzeugung, dass sich gesellschaftliche Veränderungen dauerhaft nicht durch Abstimmungserfolge in Parlamenten, sondern nur mit einer Änderung des politischen Bewusstseins der Betroffenen erringen lassen, z. B. indem im politischen Kampf die Erfahrung gemacht wird, dass sich etwas bewirken lässt, dass der Satz „die da oben machen ja ohnehin, was sie wollen“ dann nicht mehr gilt, wenn die Bewegung von unten stark genug ist.

These 5: Linke Politik ist nicht Politik für sozial Benachteiligte, sondern mit sozial Benachteiligten.

Ein zweites wesentliches Merkmal ist das Prinzip des „Gläsernen Rathauses“. Öffentliche Kontrolle bedarf der Transparenz des kommunalpolitischen Handelns. Übrigens, in Parenthese gesetzt, ist dies einer meiner heftigsten Kritikpunkte am „real existierenden Sozialismus“: Dort wurde das kommunistische Prinzip der demokratischen Kontrolle, das ganz wesentlich auf der Transparenz der Entscheidungen und der Entscheidungsfindungen basiert, verletzt oder zumindest nur unzureichend wirksam umgesetzt. Seit jeher hat linke Kommunalpolitik darauf gesetzt, „Schweinereien aufzudecken“ und Kungeleien öffentlich zu machen. Viele Stadt- und Stadtteilzeitungen der DKP beziehen gerade hieraus ihre besondere Attraktivität. Zum „Gläsernen Rathaus“ gehört, dass linke Stadträte ein klares Verhältnis zu den „Verschwiegenheitspflichten“ haben müssen, nämlich: Alles, was für die Betroffenen von Interesse ist, alles, was den politischen Widerstand gegen undemokratische oder unsoziale Entscheidungen befördern kann, muss öffentlich gemacht werden. Manchmal sehen das sogar die Gerichte so: Ich habe vor einigen Jahren eine förmliche Rüge erhalten für das Öffentlichmachen eines Punktes aus der Bilanz der Freiburger Stadtbau GmbH. Gegen diese Rüge habe ich Klage eingereicht und Recht bekommen. 

Kommen wir mit dem dritten Merkmal oder Prinzip zu Lenin und Brecht zurück, genauer gesagt zur schon legendären Forderung nach dem „Kampf ums Teewasser“. Jede, auch die noch so kleinste Alltagssorge der Bevölkerung kann und muss Thema linker Kommunalpolitik sein. Und so setzen wir von der Linken Liste-Solidarische Stadt uns selbstverständlich für die Einrichtung eines von der Bevölkerung geforderten Zebrastreifens ein. Wir tun dies, um – natürlich – die Verkehrssicherheit zu erhöhen, und wir tragen, wie Marxisten es formulieren würden, damit zur Verbesserung der Reproduktionsbedingungen der Menschen bei. Ein anderes Motiv mag sein aufzuzeigen, dass mit der Linken Liste-Solidarische Stadt Erfolge zu erzielen sind. Und natürlich tun wir dies, weil wir die Anliegen der Menschen im Quartier, in der Stadt ernst nehmen und achten. Die Kommunisten versuchen nun, um beim praktischen Beispiel zu bleiben, die Forderung nach der Einrichtung eines Zebrastreifens zu verbinden mit einer Vision von einer Gesellschaft, in der 
a) die Verkehrspolitik nicht von den Interessen der großen Automobilkonzerne diktiert ist, 
b) niemand aus sozialen Gründen von Mobilität ausgeschlossen ist,
c) Sicherheit ein höheres Gewicht hat als Geschwindigkeit, 
d) ökologische Aspekte die Verkehrspolitik bestimmen und
e) ein von allen bezahlbarer ÖPNV Vorrang davor hat, den Individualverkehr möglichst reibungslos zu gestalten.

Lenins Beitrag auf einer Fraktionssitzung würde also darin liegen, wo immer möglich auf einer Verbindung von Pragmatischem und Visionärem zu bestehen, darauf, sich mit aller Ernsthaftigkeit um jedes konkrete demokratische und soziale Anliegen zu kümmern. Dabei aber jeweils nicht aus dem Blick zu verlieren, welche Auswirkungen eine konkrete Maßnahme auf eine Machtverschiebung zugunsten der Arbeiterklasse haben kann. Er würde auf dem Darstellen einer grundlegend anderen Gesellschaftsordnung bestehen, die von gänzlich anderen Paramatern bestimmt ist, eine Gesellschaftsordnung, die sich nicht an Zielen der Profitmaximierung, sondern an den Bedürfnissen und Interessen der Menschen ausrichtet.

These 6: Die Kunst kommunistischer Kommunalpolitik besteht darin, im Teewasser den kommenden Sozialismus zu sehen – und dies zu erklären.



Unterschiede zwischen kommunistischer und sonstiger linker Kommunalpolitik
Worin bestehen nun tatsächlich die Unterschiede zwischen einer kommunistischen und einer anderen linken Kommunalpolitik? Sind dies grundlegende, gar theoretisch fixierbare Unterschiede oder ist eine kommunistische Kommunalpolitik lediglich eine besonders konsequente, eine besonders radikale Form linker Kommunalpolitik? In der Praxis sind die Unterschiede meines Erachtens eher gering. Wenn wir kommunistische Kommunalpolitik als eine Teilmenge linker Kommunalpolitik ansehen, so mag es bei den Linken allgemein eine größere Breite an Positionen geben, also auch solche, die bei den Marxisten nicht vorkommen. Und es wird bei der DKP marxistische Präzisierungen und Verallgemeinerungen geben, die nicht von allen Linken gutgeheißen werden. Das Verhältnis zum Parlamentarismus ist z. B. bei der DKP klarer fixiert als bei der Partei DIE LINKE. Bei uns ist eine reine Stellvertreterpolitik, eine nur auf parlamentarische Erfolge orientierende Politik ausgeschlossen, die bei der LINKEN, wenn auch nicht zwangsläufig, so doch immerhin möglich ist. Dies kann sich z.B. an der Haltung zu Regierungsbeteiligungen, zu Absprachen mit den bürgerlichen Parteien und der Sozialdemokratie in Parlamenten, zu sog. „Sachzwängen“ usw. zeigen. Der deutlichste Unterschied liegt wohl in der Einschätzung der Rolle der gesellschaftlich relevanten Produktionsmittel. Sagte kürzlich Gregor Gysi, für die Partei DIE LINKE stelle sich die Eigentumsfrage nicht, so stellt sich für die DKP diese Frage als allererste. So ist der Kampf gegen Privatisierungen öffentlichen Eigentums zwangsläufig eines der entscheidenden Handlungsfelder marxistischer Kommunalpolitik. 

Doch alles in allem sind die Merkmale, die eine besondere, eigenständige, von anderer linker Kommunalpolitik eindeutig unterscheidbare kommunistische Kommunalpolitik ausweisen könnten, in der Praxis eher gering. Dies liegt zum einen im Wesen der Kommunalpolitik, die stärker von praktischen Entscheidungen über Dinge des Alltags der Menschen geprägt ist, denn von großen Entwürfen von menschheitsgeschichtlicher Relevanz. Zum anderen liegt es in der aktuellen politischen Situation der BRD begründet, die mehr von Abwehrkämpfen geprägt ist als von der realen aktuellen Möglichkeit, gesellschaftspolitische Utopien in die Praxis umsetzen zu können. Und so eint die Kritik an der herrschenden Politik, an der Politik der Herrschenden in globalem wie in lokalem Maßstab die Linken mehr, als dass sie durch unterschiedliche politische Zukunftsentwürfe getrennt würden. Die eher geringen Unterschiede zwischen verschiedenen fortschrittlichen und linken kommunalpolitischen Konzepten und Herangehensweisen bieten dem Bündnisgedanken auf dem Feld der Kommunalpolitik eine besondere Chance.

These 7: Die Unterschiede zwischen verschiedenen linken Ansätzen in der Praxis der Kommunalpolitik liegen mehr im konkreten Herangehen als in der Programmatik



Bündnispolitik
In keinem Politikfeld ist die Möglichkeit einer aktiven Bündnispolitik so groß wie in der Kommunalpolitik. Dies beginnt damit, dass es auf kommunaler Ebene, wie auf keiner anderen Ebene sonst, viele Bürgerinitiativen gibt, in denen sich engagierte Menschen für ihre Interessen, für soziale, kulturelle ökologische oder sonstige Anliegen einsetzen. Diese Einmischung von unten, manchmal völlig ohne Parteibindung, ist aktive Bündnispolitik. Dieser Gedanke ist mir besonders wichtig, weil Bündnispolitik oft, und fälschlicherweise, nur in der Form von Bündnissen zwischen Parteien und Organisationen verstanden wird. Und die Bündnispolitik ist für viele Menschen die erste Erfahrung im politischen Kampf. Die Linke Liste unterstützt, wo immer möglich, solche Bürgerinitiativen und versucht, deren Anliegen in das Stadtparlament zu transportieren. Ein in Freiburg herausragendes Beispiel ist der Runde Tisch gegen Hartz IV. Von der Beratung Erwerbsloser über praktische Hilfe in Einzelfällen bis zu politischen Aktionen, z. B. vor dem Arbeitsamt, greift der Runde Tisch in die politische Debatte über die Erwerbslosen- und „Arbeitsmarkt“politik ein. Dieser Bürgerinitiative ist es zu verdanken, dass das Thema Erwerbslosigkeit und die Situation der Erwerbslosen ein wichtiges, stark in der öffentlichen Diskussion stehendes kommunalpolitisches Thema geworden ist. Initiativen wie die zur Einführung eines „Freiburg-Passes“ für Erwerbslose und Geringverdiener (in Ansätzen schon erfolgreich) und eines „Sozialtickets“ (Monatskarte für Bus & Bahn für 18 statt für 44 Euro, noch nicht durchgesetzt) verbinden die Anklage gegen die Ausgrenzung erwerbsloser und geringverdienender Menschen z. B. von Mobilität, von kulturellen und sportlichen Aktivitäten mit dem Kampf für die konkrete Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Auch hier verknüpft sich der pragmatische Ansatz an den konkreten Interessen mit einer sozialpolitischen Perspektive und z.T. gesellschaftspolitischer Utopie. Eine Mischform zwischen Personen- und Organisationsbündnis ist die Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“, die im Jahr 2006 die Privatisierung der städtischen Wohnungen verhindert hat. Sie war getragen von einer großen Mobilisierung der unmittelbar Betroffenen, der (Sozial-) Mieter und Mieterinnen, insbesondere in Stadtteilen, die als soziale Brennpunkte bezeichnet werden können. Doch sie bestand nicht nur aus Mieterinnen und Mietern, aus engagierten Einzelpersonen, sondern eben auch – und zwar ganz bewusst – auch aus Vertretern politischer Organisationen. So waren der Ortsverband des DGB, die Fraktionen der SPD und der Unabhängigen Listen neben den Vertretern der MieterInnen und der Quartiersarbeit fest im Vorstand vertreten. Dies führte zu einer ungeheuer wichtigen Verzahnung von parlamentarischem und außerparlamentarischem Kampf, letztlich einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren.

Auch auf der Ebene politischer Parteien und Organisationen bietet die Kommunalpolitik vielfältigste Ansätze zur Bündnispolitik. So hat sich die Linke Liste-Solidarische Stadt, in der seit jeher Mitglieder der DKP vertreten sind und seit Jahren auch Mitglieder der PDS und der WASG engagiert waren, mit der Partei DIE LINKE auf eine Kandidatur von Mitgliedern der Partei DIE LINKE auf der Liste der Linken Liste-Solidarische Stadt bei der Kommunalwahl in Freiburg im nächsten Jahr geeinigt. Gemeinsames Ziel ist dabei eine starke gemeinsame Kandidatur, die alle Linkskräfte bündelt und möglichst alle gesellschaftlich relevanten Bewegungen von unten vereint. Im Übrigen ist es ja auch kein Wunder, dass in einer Zeit, in der seitens der Parteiführung der Partei Die LINKE der Versuch unternommen wird, eine Kandidatur von Mitgliedern der DKP auf bundes- und landespolitischen Wahllisten der LINKEN zu verhindern, gar nicht erst der Versuch unternommen wird, eine solche Zusammenarbeit auch auf kommunaler Ebene zu unterbinden.

These 8: Kommunale Bündnispolitik ist mehr als eine Zusammenarbeit verschiedener Parteien und Organisationen, sie ist das Heranführen der Betroffenen an den politischen Kampf und an die Möglichkeit einer Verbindung von parlamentarischem und außerparlamentarischem Kampf



Kann Kommunalpolitik in nicht-revolutionärer Zeit revolutionär sein? 
Sicher nicht in dem Sinne, dass Kommunalpolitik derzeit in der Lage wäre, Massen dergestalt zu mobilisieren, dass ein revolutionärer Umsturz in den Kommunen unmittelbar bevorstünde. 
Das Spannungsfeld zwischen Reform und Revolution ist aber heute ein anderes als vor 90 Jahren. Der globale Konkurrenzkapitalismus führt dazu, dass die Durchsetzung demokratischer und sozialer Errungenschaften, echte politische und soziale Erfolge, wie z.B. reale Mitbestimmung, ein nennenswerter Anteil an den Ergebnissen der Produktivitätssteigerungen für die Arbeiterklasse, menschliche Standards bei der Arbeitssicherheit, die Achtung ökologischer Erfordernisse bei Produktion und Handel usw., Reformen wären, die das kapitalistische System im Kleinen wie im Großen massiv ins Wanken bringen würden. Die Durchsetzung von sozialen und demokratischen Reformen ist deshalb in der derzeitigen Phase des globalen Kapitalismus selbst schon revolutionär. 

These 9: Erfolgreiche linke Reformpolitik wird revolutionär

In diesem Sinne führen ein nachvollziehbares Zuspitzen der Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit sowie eine Mobilisierung der Menschen für den Kampf um ihre eigenen Interessen zu einer potentiellen Machtverschiebung zugunsten der Arbeiterklasse und damit zu einer möglichen Einschränkung der Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals. Hier stößt linke Kommunalpolitik bis an die Grenzen des herrschenden politischen Systems vor und weist über dieses hinaus. Wo und wenn also eine linke Kommunalpolitik, die visionäre Ziele mit Tagespolitik verknüpft, Menschen für ihre eigenen Interessen mobilisiert und politisches (Klassen-) Bewusstsein schafft, dort und dann ist linke Kommunalpolitik auch heute revolutionär. Und dort sitzen auch Marx und Lenin bei Fraktionssitzungen mit am Tisch. 

*Bei „Linke Liste-Solidarische Stadt“ in Freiburg handelt es sich um ein kommunalpolitisches Personenbündnis (das Wahlgesetz sagt: eine Wählergemeinschaft), in dem mehrheitlich Parteilose, aber auch Mitglieder der DKP und der Partei „DIE LINKE“ mitarbeiten. Die drei Gemeinderäte der Linken Liste-Solidarische Stadt bilden mit den Gemeinderäten der Kulturliste und der Unabhängigen Frauen eine Fraktionsgemeinschaft, die „Unabhängigen Listen“, die sechs der insgesamt 48 Sitze im Gemeinderat stellt.

 

Veröffentlicht in politische Praxis

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