Methoden der Rechten im Internet

Veröffentlicht auf

Virales Marketing für Neonazis
Guido Watermann 23.07.2009

Rechte Propaganda in sozialen Netzwerken wie Youtube, Facebook und
Wikipedia

Erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit kommt an Techniken wie Social Media
Optimization (1) und Viralem Marketing (2) nicht mehr vorbei. Keine
politische Partei kann auf Twitter, Blogs und andere Bausteine des
Online Campaignings verzichten. Jetzt hat auch die rechte Szene in
Deutschland das Web 2.0 entdeckt.

"Handlungsbedarf bei Wikipedia" sah Anarch, ein Mitglied der
rechtsextremen Community Thiazi-Net im Sommer 2008. Er nannte Namen,
welcher Wikipedia-Artikel sich die Kameraden besonders annehmen
sollten, welche Wikipedia-Autoren vertrauenswürdig, weil national
gesonnen, und welche das eher nicht seien. Warum? "Wikipedia steht in
einer Googlesuche regelmäßig auf den ersten fünf Plätzen. Wir könnten
mit relativ geringem Aufwand bei einem wirkmächtigen Medium Einfluss
gewinnen.", so Anarch.

"Die Neonazis stehen vor einem Dilemma", sagt der Münchner Journalist
Robert Andreasch: "Entweder bleiben sie unter sich und können offen
reden. Oder sie wollen öffentlich wirksam werden - dann müssen sie in
offene Webangebote hinein." Die rechte Gegen-Wikipedia "Metapedia" ist
inhaltlich unattraktiv und offen ideologisch. So tobt seit mehr als
einem Jahr ein "Sockenpuppen-Zoo" durch die deutschsprachige Wikipedia.
Sockenpuppen heißen in Analogie zu den von Bauchrednern eingesetzten
Handpuppen mehrere Accounts einer Person, die angelegt werden, um
Mehrheiten innerhalb einer Community vorzutäuschen. Während die
Wikipedia nichts Grundsätzliches gegen mehrere Accounts eines Benutzers
einzuwenden hat, sind Sockenpuppen verpönt.

Ein solcher Account hatte beim Artikel "Joseph Mengele" Zitate
eingefügt wie "Beim Augenlicht meiner Mutter, ich habe nie jemandem
etwa zuleide getan" oder sich über Benno Ohnesorg lustig gemacht: "Wie
wärs mit 'Ohnesorg war einfach ein Schwachkopf, der zur richtigen Zeit
und vom richtigen Täter erschossen wurde'? Damit ist seine historische
Relevanz ja erschöpfend umfasst..." Im Beitrag "Ich hatt' einen
Kameraden" wurde wochenlang heftig gegen einen Hinweis auf die
NS-Rezeption des Liedes gekämpft. Es handele sich um ein
antifaschistisches Lied, versuchten einige Bearbeiter zu suggerieren.
Das Foto, das die angebliche Friedfertigkeit des Liedes belegen sollte,
war betitelt mit "Inschrift auf einem Brunnen". Spätere Bearbeiter
berichtigten: "Inschrift auf einem Kriegerdenkmal" - es handelt sich um
das Kriegerdenkmal in Speyer in Form eines Brunnens. Burschenschaften
und ihre Geschichte sind in der Wikipedia im Verhältnis zu ihrer
gesellschaftlichen Relevanz überrepräsentiert; Kritik wie der Hinweis
auf personelle Verflechtungen mit rechtsextremen Organisationen kommt
zu kurz und wird immer wieder entfernt.

Viele der genannten Beiträge wurden inzwischen überarbeitet. Doch für
wie lang? Nach seiner Enttarnung brüstete sich ein Bearbeiter mit
seiner Wikipedia-Arbeit: "Ja, ich habe Sockenpuppen mißbräuchlich
eingesetzt (...) und eine Menge Leute verarscht und auch vor den Kopf
gestoßen, keine Frage!" und rief den Wikipedianern höhnisch zu: "Ihr
werdet sehen, auch ohne mich bleibts dasselbe in grün ;-)"

Spielen die Neonazis das Drehbuch der Weltwirtschaftskrise nach?
Hoffen sie auf ein neues 1933? Dass der Zeitpunkt für die
Propaganda-Initiative kein Zufall ist, glaubt Holger Kulick von "Mut
gegen rechte Gewalt": "Für die NPD beispielsweise stehen die Zeiten auf
Sturm. Es wird zur 'Systemüberwindung' des 'liberalkapitalistischen
Systems und des bestehenden volksfeindlichen Parteienstaats'
aufgerufen. Und in Internet-Foren haben alle bekannten Vorurteile
natürlich Hochkonjunktur. Die Bösen sind die Amerikaner, Alliierten und
die Juden und die 'Ostküste' mit der Wallstreet in New York."

Mit Jugend- und Protest-Themen in Soziale Netzwerke

Zwar gibt es unter dem Namen NS-Treff eine eigene rechtsextreme
Mini-Community nach Facebook-Vorbild. Doch um öffentlichkeitswirksam zu
werden, ist virales Marketing in den diversen Subkulturen der großen
Communitys ein erfolgversprechenderes Aktionsfeld. Eine Protestkultur
etwa fand sich seit den späten Achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts in
einer Neubelebung vorgeblich keltischer, germanischer oder indianischer
Religiosität zusammen. Soziologen sprechen in Analogie zu den Neuen
Sozialen Bewegungen von einer "neuen religiösen Bewegung". Den meisten
Anhängern neuheidnischer Religiosität ist klar, dass es sich um eine
moderne Rekonstruktion handelt, die heutigen Bedürfnissen gerecht wird,
nicht um eine historisch belegbare vorchristliche Tradition.

Für rechtsextreme Ideologen hingegen ist der Bezug zur angeblichen
uralten germanischen Religion ein wesentlicher Glaubensinhalt und
gehört zur rechtsesoterischen Folklore: Die "Ariosophie", deren Anfänge
im frühren 20. Jahrhundert liegen, erlangte Einfluss auf NS-Größen bis
hin zu Heinrich Himmler und Adolf Hitler. Ihre Vertreter hießen Guido
von List und Jörg Lanz von Liebenfels. Die Ariosophie inspirierte auch
die "Thule-Gesellschaft", die bei der Entstehung der NSDAP eine Rolle
spielte.

Unter dem Namen "Thule-Gesellschaft" finden sich bei Facebook heute
höchst unterschiedliche Personen zusammen. . Nur für Insider
entschlüsselbar: Einer, der sich Raimo Rosendahl nennt, schmückt sich
mit dem Porträtfoto von Guido von List. Eine Facebook-Gruppe hat sich
um den NS-Ideologen Alfred Rosenberg versammelt, eine andere um den
Vordenker der sogenannten "Neuen Rechten" Armin Mohler. Die Mitglieder,
zum Teil fiktiv, sollen weltweite Anhängerschaft vortäuschen, bei dem
ein oder anderen Namen handelt es sich offenkundig um einen "nom de
guerre". Einige Fotos zeigen offen rechtsextreme Symbole.

Wer auf Youtube einschlägige Suchbegriffe eingibt, findet von
Handy-Videos zu Nazi-Aufmärschen bis zu professionell gemachten
Imagefilmen die gesamte Bandbreite viralen Marketings für rechtsextreme
Personen und Themen: Auftritte rechter Bands, den Liedermacher und
NPD-Anhänger Frank Rennicke im Interview oder einen Werbefilm für
völkische Esoterik unter dem Banner der "Schwarzen Sonne".

"Die Betreiber beliebter sozialer Netzwerke haben kaum eine Chance,
jeden einzelnen Eintrag zu kontrollieren", sagt Holger Kulick von "Mut
gegen rechte Gewalt". "Sie sind darauf angewiesen, dass andere
Mitglieder der Community die Augen offen halten und auf Einträge, die
ihnen auffallen, aufmerksam machen". Er rät: "Wer solche Seiten
bemerkt, kann sie bei uns (3) oder auch bei jugendschutz.net (4)
melden."

Versteckspiel im Web 2.0

Um Jugendliche zu erreichen, sprang die NPD in den vergangenen zwanzig
Jahren immer wieder auf fahrende Propaganda-Züge auf: Als
Computerspiele populär wurden, ließ sie Nazi-Computerspiele verbreiten.
Als BBS-Mailboxen der letzte Schrei waren, eröffneten die Jungen
Nationaldemokraten ein rechtes Mailbox-Netz. Mit dem Aufkommen des Web
wurde daraus ein Web-Angebot (5). Palästinensertücher und
Che-Guevara-T-Shirts gehören heute zu den gängigen Verkleidungen. Vom
Neopaganismus über die Schwarze Szene in der Musik bis hin zur
Anthroposophie wird aufgegriffen, was auch nur entfernt
Anknüpfungspunkte für die rechte Ideologie bietet. Die unfreiwilligen
Wirts-Kulturen sind damit alles andere als glücklich. Sie distanzieren
sich von der rechtsextremen Szene und verweisen auf ihre
Aufklärungsarbeit. Sehr zur Freude der rechten Kameraden, die
anschließend triumphierend auf ihre angebliche Nähe zur Antifa
hinweisen.

"Versteckspiel" nennt der Verein "Agentur für soziale Perspektiven"
diese Mimikry. "Rechtsextreme Propaganda bedient sich inzwischen
ausdrücklich als 'links' eingeordneter Codes", beschreibt Holger Kulick
vom Verein Mut gegen rechte Gewalt die Strategie. Er verweist auf die
Geschichte: "Schon die Nazis haben die Sonnwendfeiern und Fackelzüge
von der Wandervogelbewegung und linken Jugendorganisationen der
Weimarer Republik abgekupfert." So bezeichnen sich rechte
Propagandisten in Sozialen Netzwerken gern selbst als "linksliberal"
oder gar "linksradikal". Damit schlagen sie zwei Fliegen mit einer
Klappe: unerfahrende Benutzer zu verwirren - und den politischen Gegner
zu verleumden.

Kulturelle Hegemonie vortäuschen

Die Wikipedia-Strategie der national gesonnenen Bearbeiter beginnt beim
simplen Löschen wie etwa dem Hinweis auf Massenerschießungen in Dachau
während der NS-Zeit (6). Stößt das Vorgehen auf Widerspruch, pochen die
Kameraden energisch auf das Einhalten der Wikipedia-Regeln: Kein "Point
of View" (POV), neutral solle die Information sein. Wikipedia-Autor
"The Brainstorm" (7) hat die Erfahrung gemacht: "Wenn man die
NS-Rezeption eines Themas bei einem Artikel einfordert oder sich gegen
Verharmlosung einsetzt wie etwa beim Thema Waffen-SS, wird das oft sehr
aggressiv als 'Antifa-POV' abgetan". Missliebige Literaturangaben
werden als "nicht reputabel" gelöscht. Versucht wird auch, Gegner so zu
provozieren, bis sie sich zu einer verbalen Entgleisung hinreißen
lassen, um sie dann als "Vandalen" anzuzeigen und eine Sperrung nach
den Wikipedia-Regeln zu erreichen.

Auf Dauer halten sich die Fehlinformationen nicht. Mit technischen
Hilfsmitteln wie dem "Checkuser-Verfahren" entlarvt die Wikipedia immer
neue Sockenpuppen eines Benutzers, der sich "Rosa Liebknecht" nannte -
mehrere hundert wurden inzwischen enttarnt. In mühsamer Kleinarbeit
korrigieren die ehrenamtlichen Wikipedia-Autoren die einseitigen
Einträge. Inhaltlich beobachtet Wikipedia-Autor Alexander Klimke einen
Trend "hin zu subtilen oder sehr fachspezifischen Änderungen, die
weitgehend nur noch durch Experten beurteilt werden können." Insgesamt,
so Klimke, nehmen die "Großschadenedits" ab, aber: "Die
Kleinschadenedits werden besser getarnt". Diese zu enttarnen, verlange
entsprechende Fachkenntnis. Die Diskussion auf Expertenniveau gelinge
nur einem kleinen Teil der Rechtsextremen, die dann, so Klimke, "aber
auch entsprechend besonders gefährlich sind."

Dass den Kampf um die Köpfe in der Wikipedia auf beiden Seiten
Akademiker führen, wird am Beispiel "Schwarze Feder" deutlich, einem
Autoren, der Manipulationen in der Wikipedia aufdeckte. Der
habilitierte Genetiker Volkmar Weiss, der die These einer biologisch
vorgegebenen Intelligenz vertritt, schrieb "von Kollege zu Kollege" an
den Doktorvater des Wikipedia-Autoren, um den Nachwuchswissenschaftler
anzuschwärzen - zu seiner Empörung ohne den gewünschten Erfolg.

Weitere Hassgegner der rechtsextremen Intellektuellen sind
Journalisten. "Das extrem rechte "Deutsche Rechtsbüro" hat erklärt,
dass man in gewissen Fällen Journalisten straffrei angreifen und ihr
Equipment zerstören dürfe. Das stimmt zwar nicht, aber seitdem gehen
die Kameraden oft tätlich auf Journalisten los", berichtet Robert
Andreasch, der selbst bereits Opfer solcher Angriffe wurde. Ein
aktuelles Beispiel ist der Angriff auf den tschechischen
"Stern"-Fotografen Stanislav Krupar (8). Viele gegen einen - so sieht
das auch online aus. Doch so viele Kameraden, wie es scheinen könnte,
sind es nicht: "Es geht eher darum, Mehrheiten vorzutäuschen" urteilt
Wikipedia-Autor "The Brainstorm". Bei einschlägigen Themen wie
völkischer Esoterik, Neuheidentum, Holocaust-Leugnung und weiteren
Verschwörungstheorien seien rasch ein halbes Dutzend "Polit-Socken",
wie die Wikipedianer sie nennen, beisammen. "Die diskutieren alle
anderen in Grund und Boden", so "The Brainstorm". Dass an den als Beleg
angebrachten "Fakten" nichts dran ist, muss der einzelne ernsthafte
Experte unter den Wikipedianer erst einmal beweisen. Hauptsache, die
Diffamierung aus der Sicht der Rechtsextremen funktioniert. So wurde
der Eintrag über den FAZ-Journalisten Richard Herzinger mit dem
Attribut "jüdisch" versehen, um die Israel-Berichterstattung des
Journalisten zu diskreditieren (9).

Hauptberufliche Marketing-Experten

Eine erfolgreiche Gegenstrategie besteht darin, sich über die
Rechtsextremen online lustig zu machen. Das ist Ziel von satirischen
Projekten wie der "Front deutscher Äpfel" (10), samt
Jugendorganisation Nationales Frischobst Deutschland (NFD) sowie
Frauenorganisation Bund weicher Birnen (BWB). Der Webauftritt nimmt
Wortwahl und Tonfall der NPD auf: Hier gibt es das "Weltnetz", wie die
Nazis das Internet nennen, und die Menüpunkte "Heim" oder "Brett" statt
"Home" und "Forum". Auch diese Taktik versuchen die rechten
Öffentlichkeitsarbeiter aufzugreifen und machen sich in der Wikipedia
über die ernsthaften Autoren lustig (11). Von einer "rechten
Spaßguerilla" spricht Günter Schuler, Autor des Buchs "Wikipedia
inside" folgerichtig auf npd-blog.info (12).

Unter Personen der Neonazi-Szene ist inzwischen ein regelrechter
Wettbewerb darüber ausgebrochen, wessen Wikipedia-Eintrag der längste
ist. "Es gibt mindestens eine Person, die hauptberuflich für die NPD im
Web 2.0 unterwegs ist", bestätigt Holger Kulick von "Mut gegen rechte
Gewalt". "Ein entschlossener Polit-Autor kann mit seinem Socken-Zoo
eine Zeitlang Dutzende ernsthafter Wikipedianer beschäftigen, bis er
enttarnt wird", fürchtet "The Brainstorm".

"Neonazistische Hetze sowie die Teilnahme der extremen Rechten an
Online-Communitys und deren Vernetzung im Internet dürfen kein
Normalzustand werden", fordert Robert Andreasch. "Hier besteht ein
Bildungsauftrag. Die Internetnutzer müssen im Umgang mit dem Internet
sensibilisiert und aufgeklärt werden" erklärt der Berliner Rechtsanwalt
Alexander Klimke. Langfristig, so hofft er, setze sich auch in den
Communitys nach einer kurzen Schrecksekunde "the wisdom of the crowds"
gegen den Marketing-Angriff durch. Ein Verbot aber bringe nichts. "Die
Devise heißt: wachsam bleiben", sagt auch Holger Kulick. "Denn die
rechten Werbespezialisten suchen sich immer neue Themen und Symbole
aus, um auf den jeweils aktuellen Trend aufzuspringen."

LINKS
(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Social_Media_Optimization
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Virales_Marketing
(3) http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/
(4) http://www.jugendschutz.net/rechtsextremismus/index.html
(5) http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus_im_Internet
(6)<http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Dachau&diff=prev&oldid=55616859>
(7)<
http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Waffen-SS/Archiv/2008#NPOV_und_Wissensl.C3.Bccken>
(8)<
http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/meldungen/neonazis-ueberfielen-stern-fotografen-prozess-in-dresden/>
(9)<
http://www.welt.de/webwelt/article3807487/Wie-ich-im-Internet-zum-Juden-erklaert-wurde.html>
(10)
http://www.apfelfront.de
(11)<http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Wissling/R%C3%A4chte_Esot%C3%A4rik>
(12)<
http://npd-blog.info/2009/06/16/rechte-spasguerilla-bei-deutscher-wikipedia/>

Veröffentlicht in politische Praxis

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