Das "Jüdische Schiff" - Humanes Judentum: "Nicht derjenige ist ein Held, der tötet, sondern derjenige, der alles daran setzt, seinen Feind zum Freund zu machen ...

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Das »Jüdische Schiff« ist mit Hilfsgütern nach Gaza unterwegs. Zur Fracht gehört auch ein Karton mit Mundharmonikas. Gespräch mit Reuven Moskovitz

Interview: Sophia Deeg
Der 1928 in Rumänien geborene Israeli Reuven Moskovitz ist Überlebender der Judenvernichtung durch die deutschen Faschisten. Das Interview wurde vor dem Auslaufen geführt

Am Sonntag ist das »Jüdische Schiff« von Zypern aus mit Hilfsgütern nach Gaza aufgebrochen – einer der vielen Mitreisenden sind Sie. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?

In Rumänien habe ich miterlebt, wie die einheimischen Faschisten damals mit den Nazis kollaborierten. Ich fand mich plötzlich in einem Getto wieder, ich habe buchstäblich meine Kindheit verloren. Schon früh wurde mir klar, daß ich mein Leben lang gegen Verfolgung, Unterdrückung und Diskriminierung kämpfen würde.

Ich war 19 Jahre alt, als ich 1947 nach Israel auswanderte, ich lebte als zionistisch-sozialistischer Pionier dann in Galiläa in einem Kibbutz. Sehr bald wurde ich aber mit systematischen ethnischen Säuberungen konfrontiert, mit Massakern, Enteignung und Vertreibung unserer palästinensischen Nachbarn.

Wie war Ihre Reaktion darauf?

Viele von uns Einwanderern waren erschüttert und schlossen sich der damaligen Friedensbewegung um Martin Buber an. Es ging uns um die gegenseitige Anerkennung und die Gleichberechtigung der palästinensischen und jüdischen Bewohner des Landes. Die einzige Partei, die das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr anerkannte, war übrigens die KP Israels.

Obwohl ich durch und durch säkular bin, stehe ich in der Tradition des Judentums, die u.a. besagt, daß nicht derjenige ein Held ist, der tötet, sondern derjenige, der alles daran setzt, seinen Feind zum Freund zu machen. Das »Jüdische Boot« ist ganz in diesem Sinne, ich verstehe es als ein Mittel dazu.

Israel hat sich im Nahen Osten zu einer Supermacht entwickelt, die den Palästinensern jede Selbstbestimmung vorenthält. Ich habe nie vergessen, wie in den 50er Jahren die ursprünglichen Bewohner des Landes vertrieben wurden. Viele von ihnen flohen damals nach Gaza, einem Küstenstreifen mit damals einigen zehntausend Bewohnern; heute sind es 1,5 Millionen – eingepfercht in diesen schmalen Landstreifen, der eher ein Gefängnis oder ein Getto ist.

1967 mußte ich in Ramallah als Soldat erleben, wie unsere Armee palästinensische Kinder drangsalierte – so etwas hatte ich ja in Rumänien am eigenen Leib erlebt. Ich kümmerte mich um einige dieser Kinder und gab ihnen von meiner Lebensmittelration ab. Dafür schenkten sie mir eine Mundharmonika, auf der ich heute noch bei vielen Gelegenheiten spiele: Palästinensische, israelische oder auch traditionelle jüdische Friedenslieder.

Ich freue mich daher besonders, daß wir auf unserem Schiff auch einen Karton Mundharmonikas für Gaza dabei haben. Andere Musikinstrumente übrigens auch.

Es scheint, daß sich Israel in den vergangenen Jahren noch mehr Feinde gemacht hat, als es zuvor schon hatte …

Es ist allenthalben von »Menschenrechten«, »Reisefreiheit«, »Bildung« etc. die Rede. Um so unerträglicher ist es da für mich, miterleben zu müssen, wie Gaza durch Israel blockiert wird –all das wird den Menschen dort nämlich vorenthalten. Ich bin aber Bürger des Staates, der dies zu verantworten hat – und den ich mit aufgebaut habe! Deshalb begebe ich mich auf diese Seerreise nach Gaza, trotz meines Alters, egal welche Konsequenzen das für mich hat. Es geht mir auch darum, das andere Gesicht des Judentums, das des Humanismus, zu zeigen.

Das »Jüdische Schiff« fährt nicht gemeinsam mit der großen internationalen Flotille, die noch vor Ende des Jahres nach Gaza aufbrechen soll. Warum nicht?

Wir sind eine Facette der vielfältigen Aktionen, die die Isolierung Gazas durchbrechen sollen, ich bin jedem dankbar, der sich daran beteiligt. Es hat mich sehr erschüttert, daß der internationalen Flotille, die Ende Mai von israelischen Soldaten so grausam überfallen wurde, unterstellt wurde, sie fördere den Terrorismus. Ich hoffe, daß es im Fall des »Jüdischen Schiffs«“ nicht so leicht möglich sein wird, der Öffentlichkeit solche absurden Verleumdungen aufzutischen.
"junge Welt" vom 28.9.2010

Veröffentlicht in Antisemitismus

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