Wenn Linke meinen, dass es keine "Begabten" gibt ...

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Soziale Selektion: Hürdenlauf für Arbeiterkinder im Studium.


10.05.10 

Von Reinhold Schramm

Sie bringen im Studium ebenso gute Leistungen. Sie bekommen weniger Unterstützung von Zuhause, müssen häufiger Geld verdienen und werden auch von den Professoren seltener gefördert. Die Hindernisse für Arbeiterkinder an den Hochschulen müssen "als groß und folgenreich für das Studium eingeschätzt werden", schreiben die Konstanzer Hochschulforscher Holger Bargel und Tino Bargel.

Ein niedriger ökonomischer Status der Eltern ist an Universitäten und Fachschulen ein erheblicher Nachteil. Die Wissenschaftler mahnen mehr Anstrengungen für Chancengleichheit an. Haben Vater oder Mutter ebenfalls eine Hochschule besucht, so können sich zwei Drittel aus dieser Gruppe auf das Geld der Eltern verlassen. Unter den Kindern ungelernter Arbeiter sind 15 Prozent in dieser Situation, und beim Handwerksmeister 20 Prozent. Deren Geldprobleme tauchen verstärkt in der Spätphase der Ausbildung auf. Heute können weniger Studierende ihre Ausbildung durch das BAföG finanzieren als noch 1993. Jedes zweite Arbeiterkind bekommt BAföG; 1993 waren es noch 63 Prozent. Die Wissenschaftler sprechen von "einem eindeutigen Rückschritt im Bemühen um soziale Chancengleichheit". Der Staat und seine Bundesregierungen haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten stark zulasten der Aufstiegschancen durch Bildung gespart. Zwei von drei Kindern kleiner Angestellter, Facharbeiter und Meister müssen zusätzlich zum Studium Geld verdienen. Bei Kindern höherer Beamter oder akademischer Freiberufler ist nur jeder Dritte darauf angewiesen. Wer sich selbst finanzieren muss, verbringt zwei Tage pro Woche mit Arbeiten.

"Für Akademikerkinder ist ein Auslandsaufenthalt zum Spracherwerb oder zum Studieren nahezu zur Selbstverständlichkeit geworden", für Arbeiterkinder gelte das nicht. Die Wissenschaftler schlagen deshalb eine bedarfsabhängige Förderung für den internationalen Austausch vor.

Absolventen aus der Arbeiterschaft erwägen nur halb so oft eine Doktorarbeit wie ihre Kommilitonen, und das liegt auch an mangelnder Förderung durch die Professoren, so die Forscher.

Paradoxerweise werden Studierende aus bildungsfernen Familien seltener gefördert als andere. Die sogenannte Begabtenförderung nimmt sich nicht vorrangig der Bedürftigen an: 71 Prozent der Geförderten stammten aus Akademikerfamilien. In der Öffentlichkeit wird das damit begründet, dass Arbeiterkinder schlechtere Leistungen bringen, so die Studie. Die Wissenschaftler stellen klar: Es gibt keinen wissenschaftlichen Befund, der diese These (diese falsche Behauptung) stützt.
Bis zum Schluss der Ausbildung macht sich die soziale Herkunft bemerkbar, schreiben die Forscher Holger Bargel und Tino Bargel. Arbeiterkinder leiden stärker unter unsicheren Berufsaussichten, weil sie auf "weniger Unterstützung" zählen können. Die Autoren der Studie halten angesichts der vielfältigen Probleme mehr Anstrengungen für Chancengleichheit (auch) an den Hochschulen für nötig.

Quelle: Böcklerimpuls 7/2010. Tino Bargel, Holger Bargel: Ungleichheiten und Benachteiligungen im Hochschulstudium aufgrund der sozialen Herkunft der Studierenden; Arbeitspapier 202, Demokratische und Soziale Hochschule, Düsseldorf, 2010.
http://www.boeckler.de/pdf/impuls_2010_07_4-5.pdf

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