"Was ich über Feminismus denke" (aus "Rotfuchs" 1/08)

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Eine 23jährige Agrarstudentin stellt zur Diskussion:

Was ich über Feminismus denke

 Feminismus. Für viele ist dieser Begriff nur mit Vorurteilen erklärbar, durch sie belastet und verzerrt. Für eher wenige ist er der Zugang zu einer neuen Lebensweise. So geht es mir, wenn ich im Alltag diesen Begriff gebrauche. Durch die unklare Wahrnehmung des Feminismus ist es schwer, seine Bedeutung für die Zukunft einzuschätzen. Bietet er eine Lösung für die allgegenwärtige Ungleichstellung von Frauen und Männern? Kann der Feminismus Frauen und Männer aus ihren sozialen Geschlechterrollen befreien?

Um eines vorwegzunehmen: Ich bin keineswegs der Ansicht, daß ausschließlich Frauen der Gleichberechtigung im Privat- und Berufsleben bedürfen. Auch unsere männlichen Mitbürger leiden unter Klischees und sozialen Rollen, die sie erfüllen müssen. Die Frage muß also korrekt heißen: Kann uns der Feminismus in eine Welt führen, in der sich jeder nach seinen eigenen freien Vorstellungen und seinem Willen entwickeln kann?

Auf dem Weg zur Beantwortung der Frage möchte ich von der Feminismus-Definition von Renate Wurms ausgehen, um eine Abgrenzung klar erkennbar zu machen.

Demzufolge verkörpert er im engeren Sinne eine Richtung in der Frauenbewegung, die die Unterdrückung der Frau in erster Linie „durch die Aneignung ihrer Sexualität zum Zweck der Ausbeutung ihrer Reproduktionsfähigkeit durch den einzelnen Mann und/oder patriarchalische Institutionen erklärt, die patriarchalisch geprägte Kultur und Gesellschaft in den Mittelpunkt der Kritik stellt und vorrangig den Kampf gegen das Patriarchat führt“.

Auch innerhalb des Feminismus gibt es verschiedene Strömungen, die ich an dieser Stelle nicht näher erläutern will. Geht man davon aus, daß sich der Feminismus erst umfassend entwickeln konnte, als die Idee der revolutionären Umgestaltung der Klassengesellschaft in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Köpfen der Linken der BRD langsam verblaßte, so läßt sich schlußfolgern, daß er eine alternative Lösung der Geschlechterfrage darstellt. Die meisten Strömungen im Feminismus suchen dementsprechend nach Lösungsansätzen innerhalb des Systems und unterscheiden klar zwischen Unterdrückung und Ausbeutung. Cristine Behrens und anderen zufolge wich „die Vorstellung der kollektiven Veränderung der Gesellschaft mehr und mehr der Auffassung, daß Frauenunterdrückung ein Problem sei, das vor allem auf der Ebene individueller Beziehungen ausgefochten werden müsse“. Mit der Aufteilung von Frauen und Männern in zwei unversöhnlich zueinander stehende „Klassen“ durch Shulamith Firestone wurden der tatsächliche Klassenkampf quasi negiert und alle bisher gewachsenen Strukturen als patriarchalisch bezeichnet und gemieden. Es sollten neue, von Frauen geschaffene Strukturen entwickelt werden. Zu einem zentralen Punkt wurden Selbsterfahrungsgruppen, in welchen sich Frauen von ihrem Leben erzählten und nach Lösungen suchten. Wurden aus diesen Runden heraus anfänglich noch Demonstrationen und Aktionen initiiert, so zog man sich mit der Zeit mehr und mehr auf die oben bereits genannte individuelle Ebene zurück. Die Lebensstilpolitik wurde zu einem Schlagwort.

Ist der Feminismus vor diesem Hintergrund in der Lage, die Ungleichberechtigung von Frauen und Männern zu beseitigen?

Ich glaube, auf diesem Weg werden wir niemals zum Ziel gelangen. Auf ihre Individualität beschränkte Menschen werden sich ihrer vereinten Kraft nicht bewußt. Einzelkämpferinnen in Beruf und Politik passen sich, um voranzukommen, eher dem männlichen Rollenbild an, als daß sie für den Erfolg aller Frauen streiten. Wenn sie dann doch in deren Namen kämpfen, sind sie noch immer allein.

Viele Schritte gegen die Gleichberechtigung werden mit einzelnen „Reformen“ für ein freieres Leben übertönt.

Wir müssen uns klarmachen, daß der Arbeiter nicht von der Frauenunterdrückung profitiert. Es gilt zu begreifen, daß der Behauptung, das Proletariat sei tot, die Individualisierung jeglicher Probleme folgte Dieser Falle sind wir bis heute noch nicht entronnen. Deshalb ist es so schwer, Menschen politisch zu sensibilisieren und zu mobilisieren. In welchem Rahmen kann dies wieder möglich werden? Ich denke, daß es noch zu vielen in der derzeitigen Gesellschaft so gut geht, daß sie nicht bereit sind, für ihre eigentlichen Klasseninteressen auf die Straße zu gehen. Wir sind aber nicht allein, denn wir sind viele!

Juliane Barten

Veröffentlicht in politische Praxis

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