Auch in der "jungen Welt" ist Biosprit Thema...

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so wie es eben eine entscheidende Frage des Fortschritts ist. Niemand zweifelt ernsthaft daran, dass in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts die stoffliche Grundlage unseres normalen Industrielebens (Energie und Kraftstoff i.e.S.) in wesentlichem Umfang nicht mehr aus den bekannten Ölquellen gedeckt werden kann. Alternativen? Eigentlich Fehlanzeige. Ich habe, schon, damit einer meine Kritiker mit Alias "Leser" nicht ganz zu enttäuschen, den jW-Artikel vollständig eingefügt. Er wendet sich klar gegen die Forcierung dieses Wirtschaftszweiges, ohne allerdings eine Lösung des Problems anbieten zu können (gegen Atomkraft sind wir ja auch). Es bleibt die wiederzukäuende Predigt übrig, dass das Problem in erster Linie kein technisches ist... 


28.04.2008 / Thema / Seite 10
Volle Tanks – leere Teller

Eine neue Industrie garantiert gigantische Profite – »Bio«kraftstoffe schädigen die Umwelt mehr als bisher, Lebensmittelpreise explodieren, Dritte-Welt-Länder werden durch Monokulturen in den Ruin getrieben

Von Klaus Pedersen
Aus Protest gegen teure Nahrungsmittel ißt ein Demonstrant in d
Aus Protest gegen teure Nahrungsmittel ißt ein Demonstrant in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince Gras – ein brasilianischer Soldat der UN-Friedenstruppe hält ihn auf Abstand (8.4.2008)
»Gabriel zieht beim Biosprit die Notbremse!« So oder ähnlich lauteten vor drei Wochen die Schlagzeilen auf den Titelseiten des deutschen Blätterwalds. Wer naiv genug war zu glauben, daß bei Umweltminister Sigmar Gabriel die Einsicht in den ökologischen Unsinn und in die katastrophalen sozialen Folgen dazu geführt hätten, beim Geschäft mit Agrotreibstoffen die Notbremse zu ziehen, wurde enttäuscht. Nicht die Vorstellung, daß sich wegen des Agrokraftstoff-Hypes die Zahl der chronisch Hungernden bis zum Jahr 2025 von derzeit 820 Millionen auf 1,2 Milliarden erhöhen könnte, führte zu der Entscheidung, die Beimischungsverordnung für »Bio«sprit einzufrieren. Nein, es war die erschreckende Vorstellung, daß dreieinhalb Millionen Autofahrer im Wahljahr 2009 den teuren »SuperPlus«-Kraftstoff tanken müßten, die den zum Bundesumweltminister avancierten ehemaligen Popmusikbeauftragten der SPD-Fraktion zu diesem Schritt bewog. Die »Roadmap Biokraftstoffe«, wie das Vorhaben im Oktober 2007 in einer gemeinsamen Erklärung von Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, und seinen Amtskollegen Gabriel vollmundig bezeichnet wurde, ist in einer wahltaktischen Sackgasse gelandet.

»Sigi Pop«, so sein Spitzname in Parlamentarierkreisen, hatte auf Angaben des Verbandes der deutschen Automobilhersteller vertraut, wonach nur 375000 Kraftfahrzeuge die zehnprozentige Beimischung von Agrotreibstoffen nicht vertragen würden. Nun sind es plötzlich zehnmal soviel. Doch nicht nur der Sachverhalt, daß die Kurskorrektur vermutlich wahltaktisch bedingt war, ist ernüchternd, sondern auch die Tatsache, daß an den Agrotreibstoffen prinzipiell festgehalten werden soll. Im Ministeriumsjargon ist von »E10«, »E5« und »B7« die Rede, wobei die Zahlen hinter den Buchstaben den prozentualen Anteil der Beimischung repräsentieren. Am 4. April gab Gabriel bekannt, daß die »Nutzung von Biokraftstoffen trotz des Verzichts auf die Einführung von E10 nicht grundsätzlich in Frage gestellt (wird). An E5 halten wir weiterhin fest. Die Einführung von B7, d. h. eine höhere Beimischung von Biodiesel zu Diesel, steht nicht zur Disposition. (…) Das Ziel der EU für einen Anteil von zehn Prozent Biokraftstoffen am Kraftstoffmarkt im Jahr 2020 wird (…) in Deutschland erreicht.« Interessanterweise hatte laut Gabriel die Diskussion um die Beimischungsobergrenzen nur begrenzt etwas mit dem Erreichen von Klimaschutzzielen zu tun. »Vielmehr ging es (…) um Interessen der Landwirtschaft an der Stabilisierung und dem Ausbau des Biokraftstoffmarktes und (ein) ganz spezielle(s) Interesse der Automobilindustrie (…).«1

Wer denkt, daß Landwirtschaft in erster Linie etwas mit der Produktion von Nahrungsmitteln zu tun hat, irrt! Ökonomische Aktivitäten unter marktwirtschaftlichen Bedingungen dienen primär dem Ziel der Erwirtschaftung von Gewinn und bestenfalls sekundär der Befriedigung realer Bedürfnisse. Keine neue Erkenntnis, aber im konkreten Zusammenhang immer wieder erstaunlich. Wenn »Heizen mit Weizen« dank dem Gesetz über erneuerbare Energien lukrativer wird als die Erzeugung von Mehl, ergeben sich daraus die entsprechenden Konsequenzen: »Volle Tanks und leere Teller« – so der Titel einer vor fünf Monaten erschienenen Broschüre des Caritas-Verbandes. Jacques Diouf, Generaldirektor der Welternährungsorganisation, wies, ohne die USA direkt zu nennen, darauf hin, daß momentan in einem einzigen Land 100 Millionen Tonnen Körnerfrüchte verwendet werden, um Autos zu betanken statt Menschen zu ernähren. Das hat mit dazu beigetragen, daß sich die Weltmarktpreise für Weizen innerhalb weniger Jahre mehr als verdoppelt haben und es in den USA neuerdings eine fünfstellige Zahl chronisch Unterernährter gibt.

Unbeeindruckt von den sich häufenden Belegen der ökologischen und sozialen Widersinnigkeit des globalen Agrotreibstoff-Geschäfts hält die Politik bislang an ihren Zielen (bzw. den Zielen des agroindustriellen Komplexes) fest. Gabriel versucht, die öffentlichen Vorwürfe mit dem Ruf nach »mehr Ehrlichkeit in der Debatte um Biokraftstoffe« zu konterkarieren, indem er auf den Sojaanbau zur Futtermittelerzeugung verweist. Aber das ist eine eher infantile Argumentation, etwas Schlimmes damit entschuldigen zu wollen, daß es etwas anderes gibt, was noch viel schlimmer sei. Als weiteren Versuch der Rechtfertigung seiner Beimischungspläne bemühte Gabriel den Entwurf der inzwischen auf Eis gelegten Biomassenachhaltigkeitsverordnung und ignorierte dabei geflissentlich, daß diese Verordnung sowohl von den Umweltverbänden als auch von dem von der Bundesregierung bestallten Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) deutlich kritisiert wird.

Doch eine einseitige Fokussierung auf die Beimischung ist bei der Diskussion um Agrokraftstoffe unangebracht. Die EU-Richtlinie, bis 2020 zehn Prozent des Kraftstoffbedarfs über Agrokraftstoffe abzudecken, ist nach wie vor gültig – egal, ob beigemischt oder pur verbraucht wird. Insgesamt ist das Thema »Agrotreibstoffe« geographisch wie inhaltlich sehr komplex. Deshalb konzentrieren sich die nachfolgenden Betrachtungen auf drei Fragen dieser vielschichtigen Problematik: Können Agrotreibstoffe überhaupt einen Beitrag zum Klimaschutz leisten? Was sind die sozialen Folgen des Agrotreibstoff-Hypes? Was hat es mit den »Agrotreibstoffen zweiter Generation« auf sich?
Klimakiller Agrotreibstoffe
Auch wenn Gabriel Anfang April in seltener Offenheit eingeräumt hat, daß es bei den Agro­treibstoffen nur begrenzt um Klimaschutz gehe und in erster Linie um bestimmte wirtschaftliche Interessen, betonen die Agrotreibstoff-Protagonisten im öffentlichen Diskurs den vermeintlichen Klimaschutzeffekt. Doch was ist an diesem verführerisch klingenden Argument, durch die Verwendung nachwachsender Rohstoffe die CO2-Emissionen maßgeblich zu reduzieren, wirklich dran? Zunächst ist es einleuchtend: Die Sonne scheint auf die Äcker, die in den Ackerfrüchten gespeicherte Sonnenenergie wird in Treibstoff umgewandelt, schon ist die Sache »klimaneutral«. Andererseits ist das Argument, daß die Produktion von Agrotreibstoffen selbst fossile Energie verbraucht und die CO2-Einsparung somit nicht hundertprozentig sein kann, ebenfalls eingängig. Eine wichtige Frage ist also, wie viel von dem Einsparungseffekt verlorengeht.

Vernünftigerweise hätte man solche Untersuchungen zuerst durchführen und dann über die Verabschiedung von Gesetzen und Richtlinien entscheiden sollen. Da wir aber spätestens seit dem 4. April wissen, daß Agrotreibstoffe »nur begrenzt etwas mit dem Erreichen von Klimaschutzzielen zu tun« (Gabriel) haben, wird verständlich, daß derartige Analysen für die Entscheidungsfindung kaum von Bedeutung waren. Bezeichnenderweise wurden Mitgliedsstaaten in der im Mai 2003 verabschiedeten EU-Richtlinie »Zur Förderung und Verwendung von Biokraftstoffen« verpflichtet, bis Ende des Jahres 2004 diese in nationales Recht umzusetzen, während die entsprechenden Gutachten zu sozialen und ökologischen Folgen erst 2007/2008 erschienen. Die Anfang April 2008 publizierte Stellungnahme des SRU umreißt die Interessengruppen mit klaren Worten: »Es entsteht ein neuer stark wachsender Wirtschaftszweig um die Wertschöpfungskette Agrokraftstoffe. Die Zulieferer, so insbesondere die Landwirtschaft, profitieren von den höheren Preisen. Die Automobilindustrie wird im Rahmen des sogenannten ›Integrierten Ansatzes‹ von Anpassungs-, Innovations- und Investitionskosten für leichtere und effizientere Fahrzeuge entlastet. Diese Akteure haben sich am Runden Tisch ›Biokraftstoffe‹ mit der Bundesregierung zusammengefunden.«2 Richtig, die eingangs erwähnte »Roadmap Biokraftstoffe« nennt sich im Untertitel »Gemeinsame Strategie von Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium, Verband der Automobilindustrie, Mineralölwirtschaftsverband, Deutschem Bauernverband und dem Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie«. Das liest sich wahrhaftig wie der geballte klimapolitische Sachverstand.

In den letzten Jahren wurde die Klimaeffi­zienz von Agrokraftstoffen von verschiedenen Forschergruppen analysiert. Für Ethanol aus Mais und Diesel aus Soja untersuchte dies u.a. das US-amerikanische Team um den Ökologen David Tilman von der Universität Minnesota.3 Dieser Analyse zufolge hat die Verwendung von Maisethanol einen CO2-Einsparungseffekt von zwölf Prozent. Der von Sojadiesel liegt bei 41 Prozent. Ähnlich schlechte Wirkungsgrade wurden den Agrokraftstoffen ein Jahr später in einer Reihe europäischer Analysen bescheinigt. Zusätzlich belastet wird die Klimabilanz der kunstdüngerintensiven Agrostreibstoffe wie Mais und Raps durch die Freisetzung von Lachgas. Eine Arbeitsgruppe des Mainzer Metereologen und Nobelpreisträgers Paul J. Crutzen wies darauf hin, daß das im Vergleich zu CO2 rund 300fach klimaschädlichere Lachgas sowohl aus dem eingesetzten Dünger als auch aus dem Stickstoff der Pflanzen selbst freigesetzt wird. Bestimmte Details in der globalen Lachgasbilanz der Arbeitsgruppe Crutzen werden unter Wissenschaftlern kontrovers diskutiert. Doch laut SRU ist es unstrittig, daß durch die Ausbringung von Dünger 1,25 Prozent des darin enthaltenen Stickstoffs direkt über Lachgas und später weitere zehn Prozent des im Dünger enthaltenen Stickstoffs über Lachgas, Ammoniak und andere Stickoxide freigesetzt werden. Im Ergebnis liegt die Gesamtemission bei Raps »nur knapp unter den Emissionen fossiler Treibstoffe«.4

Neben der ungünstigen Emissionsbilanz birgt der Agrokraftstoff-Boom weitere Umweltrisiken in sich. Diese bestehen in der flächenhaften Zunahme umweltgefährdender Kulturen wie Raps und Mais bis hin zur Unterbrechung der für die Bodenqualität wichtigen dreigliedrigen Fruchtfolge sowie in der Umwandlung ökologisch wertvollen Grünlandes in Ackerflächen für Energiepflanzen. Nach Einschätzung des SRU wird durch diese Entwicklung das Ziel, den Rückgang der biologischen Vielfalt im Bereich der EU bis 2010 zu stoppen, zusätzlich gefährdet.

Insgesamt bescheinigt der SRU Deutschland und der EU einen »unzureichenden nationalen und europäischen Ordnungsrahmen für einen umweltverträglichen heimischen Energiepflanzenanbau« und gibt an anderer Stelle zu bedenken, daß die »Zerstörung wichtiger Kohlenstoffspeicher (z. B. Grünlandumbruch) oder ein hoher Düngemitteleinsatz die Treibhausgasbilanz der Agrotreibstoffe sogar ins Negative umkehren können«.5

Ähnlich deutlich äußerte sich der Wissenschaftliche Beirat der Europäischen Umweltagentur, ein Komitee von 20 Wissenschaftlern aus 15 EU-Ländern. Dieser forderte am 10. April 2008 die Suspension der EU-Biokraftstoffrichtlinie und empfahl die Durchführung einer umfassenden wissenschaftlichen Studie zu Nutzen und Risiken der Agrotreibstoffe.
Verheerende soziale Folgen
Energiepflanzenanbau mit unkalkulierbaren Risiken: Ethanol-Tanks
Energiepflanzenanbau mit unkalkulierbaren Risiken: Ethanol-Tanks auf dem Gelände einer Bioraffinerie im brasilianischen Piracicaba
Da die Flächenpotentiale der EU für die europäische Agrokraftstoffstrategie nicht ausreichen, ergibt sich nach Berechnungen der niederländischen Umweltagentur zur Erreichung des Zehn-Prozent-Ziels ein geschätzter Bedarf von 6,5 Millionen Hektar in außereuropäischen Regionen. Es werden große Mengen an Agrokraftstoff-Importen erforderlich sein, insbesondere aus Brasilien, Argentinien, Indonesien und Malaysia. Eine Chance für diese Länder, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern? Auf die makroökonomischen Kennziffern könnte sich die Entwicklung in einigen Ländern positiv auswirken – immerhin will Brasilien zur Agrokraftstoff-Macht Nummer eins aufsteigen. Schon ist von einer »grünen OPEC« die Rede. Doch für die Bevölkerung ist die Entwicklung katastrophal. Zerstörung der Lebensgrundlage, gewaltsame Vertreibungen und Zustände der Versklavung für die wenigen, für die auf den endlosen Monokulturflächen ein Job abfällt, werden aus Indonesien, Malaysia, Kolumbien, Brasilien und anderen Ländern berichtet.

Es wird in der kommenden Dekade mit einem Anstieg der Agrarpreise um 20 bis 50 Prozent gerechnet, wobei »die zum Teil sehr ehrgeizigen Ausbauziele für Agrarkraftstoffe wichtiger Industrie- und Schwellenländer«6 dabei eine beachtliche Rolle spielen dürften. Oliver Müller vom Caritas-Verband schätzte den Anteil von Agro­treibstoffen am jüngsten Preisauftrieb für Grundnahrungsmittel auf 30 bis 70 Prozent. Hält man sich vor Augen, daß die Menschen in den Ländern des Südens über die Hälfte ihres Einkommens für den Kauf von Lebensmitteln ausgeben – in Industrieländern werden zehn bis 20 Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben –, läßt sich die Dramatik erahnen, die eine Verdopplung des Preises für Weizen, Reis oder Soja seit Frühjahr 2007 mit sich bringt. Die Ökonomen C. Ford Runge und Benjamin Senauer, beide von der Universität Minnesota, prognostizierten wegen der zu erwartenden Zunahme des Energiepflanzenanbaus für die Treibstoffproduktion bis 2025 im Vergleich zu heute 380 Millionen mehr chronisch hungernde Menschen.7 Angesichts der aktuellen Situation forderte Jean Ziegler, UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, bereits im August 2007 ein fünfjähriges Moratorium für Agrotreibstoffe.

Gelegentlich wird darauf verwiesen, daß Biomasseproduktion für die örtliche dezentrale Energieversorgung Potential für die Armutsbekämpfung und die Belebung lokaler Wirtschaftskreisläufe in sich birgt. Das ist im Prinzip richtig und wird von positiven Beispielen in verschiedenen Teilen der Welt bestätigt. Das Problem ist, daß diese Beispiele nicht Anfänge einer sich ausbreitenden Entwicklung sind, sondern isolierte Vorzeigeobjekte der Entwicklungszusammenarbeit oder Rudimente in einer Welt globaler Warenströme, die als Hindernisse empfunden und deshalb – so die Befürchtung – bald aus dem Weg geräumt werden.

Ein wenig beachteter Trend, dessen Folgen in sieben bis acht Jahren in den Schlagzeilen der Weltpresse landen könnten, ist folgender: Der durchschnittliche Weltmarktpreis lag 2006/2007 bei 655 US-Dollar pro Tonne Palmöl im Vergleich zu 852 Dollar pro Tonne Rapsöl. Aufgrund dieser Preisunterschiede werden schon heute umfangreiche Palmölimporte getätigt. In der BRD wurden nach einer Hochrechnung des Leipziger Instituts für Energie und Umwelt in den deutschen Blockheizkraftwerken allein 2007 mindestens 1,3 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Palmöl erzeugt – subventioniert mit rund 200 Millionen Euro auf Basis des Gesetzes für erneuerbare Energien. Die Regierungen von Malaysia und Thailand planen eine Verdopplung der derzeitigen jährlichen Palmölproduktion auf jeweils sechs Millionen Tonnen. Peter Thoenes von der Handelsabteilung der Welternährungsorganisation kommt aufgrund dieser Zielsetzungen zu dem Schluß, daß es »deshalb möglich ist, daß in Asien eine beträchtliche Überproduktionskapazität installiert wird«.8 Der Preisverfall scheint programmiert, und es liegt auf der Hand, wem ein solcher Preisverfall zugute kommt. Eine ähnliche Entwicklung gab es in den 90er Jahren bei Kaffee. Hier hatten Milliardenkredite der französischen Regierung und der Weltbank Vietnam – ein Land, in dem zuvor kein Kaffee angebaut wurde – innerhalb eines Jahrzehnts in die Position des zweitgrößten Kaffeeproduzenten der Welt katapultiert. Die Folge war der Absturz und ein jahrelanges Hindümpeln der Kaffeepreise. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß solche Entwicklung offensichtlich gewollt sind: künftiger Preisverfall, hier bei Palmöl, zum Vorteil von Strom- und Kraftstoffunternehmen, gedeckt mit Hermesbürgschaften der Steuerzahler des globalen Nordens.
Biotreibstoffe zweiter Generation
Je massiver die Agrotreibstoffe der ersten Generation in die öffentliche Kritik geraten, desto stärker beziehen sich deren Protagonisten auf die der »zweiten Generation«, die sogenannten BTL-Kraftstoffe (BTL: biomass to liquid, Biomassenverflüssigung). Dabei handelt es sich bislang mehr »um eine Art Marketingbegriff«, wie es kürzlich Georg Gruber vom Bundesverband Pflanzenöle ausdrückte.

Und Kurt Döhmel, der Deutschland-Chef der Shell AG, räumte Anfang Februar ein, das frühestens 2023 mit einer breiten Markteinführung von BTL-Kraftstoffen zu rechnen sei. Am 17. April 2008 traf Bundeskanzlerin Angela Merkel mit 130 Vertretern aus Wirtschaft und Politik im sächsischen Freiberg zusammen, um der Fertigstellung der »weltweit ersten kommerziellen Anlage zur Herstellung von synthetischem Biokraftstoff« beizuwohnen.9 Interessanterweise hieß die »weltweit erste kommerzielle Anlage« noch wenige Tage zuvor »Demonstrationsanlage«. Doch die Firma Choren Industries aus Freiberg (Sachsen), die sich in strategischer Partnerschaft mit Shell, Daimler-Benz und Volkswagen befindet, nimmt es ohnehin nicht so genau. Bis zur breiten Markteinführung von BTL-Kraftstoffen sind noch etwa 15 Jahre erforderlich. Doch selbst bei Unterstellung eines beträchtlichen Anteils an BTL-Kraftstoffen, so der Hinweis der Europäischen Umweltagentur im EEA-Report 7/2006, wird die in Europa verfügbare Landfläche für Energiepflanzen nicht genügen, um das Zehn-Prozent-Ziel der EU zu erreichen.

Zusätzlich zu den aufgezählten Unwägbarkeiten haben die Agrokraftstoffe der zweiten Generation das Potential eines trojanischen Pferdes für genetisch modifizierte Bäume. Zellulose- wie Agrokraftstoffindustrie gieren nach schnellwüchsigen Bäumen mit einem möglichst geringen Gehalt von Lignin, das in Pflanzen die Verholzung der Zellen bewirkt. Schon jetzt wird bei den für diese Industriezweige attraktiven Arten Weide und Pappel mit Hochleistungsklonen auf extrem eingeengter genetischer Basis gearbeitet. Der Schritt zu genetisch modifizierten Bäumen, um das Wachstums weiter zu beschleunigen und den Ligningehalt zu reduzieren, erscheint in diesem Denkschema logisch. Freilandversuche mit solchen Bäumen sind bislang aus Bangladesh, Brasilien, Chile, China, Finnland, Indien, Indonesien, Kanada, Malaysia, Südafrika und Thailand bekannt. Getestet werden vor allem Eukalyptus und Ölpalmen, aber auch Pappel, Kiefer und Birke. Aufgrund der Langlebigkeit von Bäumen und der Pollenverdriftung über Hunderte Kilometer haben genetisch modifizierte Bäume ein sehr großes Gefahrenpotential – ein willkommener Anlaß für die Gentechniklobby, die nach wie vor verbotene Terminatortechnologie9 wieder ins Gespräch zu bringen.

1 Die Zitate sind der Pressemitteilung Nr. 052/08 des Bundesumweltministeriums vom 4. 4.2008 entnommen: bmu.de/pressemitteilungen/aktuelle_pressemitteilungen/pm/41118.php

2 Schriftliche Stellungnahme des Sachverständigenrates für Umweltfragen zur Bundestagsdrucksache 16/8150 vom 9.4.2008

3 Jason Hill et al. (2006): Environmental, economic, and energetic costs and benefits of biodiesel and ethanol biofuels, Proceedings of the National Academy of Sciences No. 103: S. 11206–11210

4 Schriftliche Stellungnahme des SRU

5 Ebd.

6 Ebd.

7 Siehe: Foreign Affairs, Ausgabe Mai/Juni: foreignaffairs.org/20070501faessay86305/c-ford-runge-benjamin-senauer/how-biofuels-could-starve-the-poor.html

8 Thoenes (2006): Biofuels and Commodity Markets – Palm Oil Focus, fao.org/es/esc/common/ecg/122/en/full_paper_English.pdf

9 Diese Technologie basiert auf drei in die Pflanze eingebauten Genen. Zwei der drei Gene wirken zusammen, um zunächst beim Saatguthersteller die tödliche Wirkung des dritten Gens zu unterdrücken. Das Killergen schließlich wird bei der Produktion des vom Agrarkonzern zu verkaufenden Saatguts durch einen äußeren Stimulus aktiviert (z.B. durch Besprühen der reifen Saatgutpflanzen mit einer bestimmten Substanz). Vgl. jW vom 28.10.2005, S. 10/11

Veröffentlicht in politische Praxis

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