Soll man Nahrungsmittel anbauen, um sie zu verbrennen?

Veröffentlicht auf

Zu den Entwicklungsproblemen, über die sich die fortschrittlichen Staaten Lateinamerikas nicht einig sind bzw. Lulas Brasilien als Möchtegern-Großmacht ausschert, gehört das Problem des "Biosprits". Lula glaubte, einen Trend erkannt zu haben und ist auf diesem Gebiet die Welt-Nummer eins. Angriffe auf das Prinzip erscheinen also wie Angriffe auf dieses Land.
Auf dem UN-Indigenen-Treffen blieb den Brasilianern nur eine Verteidigungsstrategie "Wir haben genug Land, um sowohl den Hunger zu bekämpfen als auch Biosprit herzustellen." ... und natürlich auf den Schlimmeren zu verweisen: Seht her, die da (der in diesem Kreis allgemein abgelehnte USA-Imperialismus) verbrennen Mais, was man sofort gegen den Hunger einsetzen könnte...
Aber ist es so einfach?
Die Diskussion ist extrem moralisch wie politisch aufgeladen.
Was alles sollte man beachten?
Zum ersten natürlich müssen weltweit insgesamt ausreichend Lebensmittel produziert werden, um die Menschen der Erde zu sättigen, bevor man in größerem Umfang daran gehen dürfte, an andere Produktionsziele zu denken.
 2. Die Produktion von Lebensmitteln sollte so weit es geht so erfolgen, dass sie
a) nicht neuen Transportbedarf künstlich schafft, also die regionalen Selbstversorgungskreisläufe stärkt und
b) keine unwürdigen Menschenverhältnisse neu begründet (indem ehemalige Bauern zu Almosenemfängern werden),
c) keine einseitigen Abhängigkeiten schafft.
3. Die "Biosprit"-Industrie muss im Interesse des Überlebens der Menschheit darauf achten, was sie ersetzt. Das könnte sein:
a) bisherige landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion (das wäre ein Verbrechen i. S. von 1.),
b) bisherige ökologische Herz- und Lungenstücke der Erde (die Beseitigung von Urwäldern kann für den O2 / CO2-Haushalt der Erde zum Kollaps führen. Das wäre ein Problem, das von Brasilien auf uns zurückschlüge...)
c) bisherige Monowirtschaften (der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben, wenn also Kuba vom (Rohr-)Zuckerexporteuer zum Spritexporteuer würde)
Hier wäre zumindest ein Selbstversorgungssystem sinnvoll.
4. "Biosprit"-Produktion lohnt nur in Großwirtschaft. Das schafft auf jeden Fall regionale Monokulturstrukturen mit mittelfristigen Nebenwirkungen: Erst Schädlings-, dann Schädlingsbekämpfungsmittel-, dann bekämpfungsmittelresistente Schädlingskonzentration usw. Das Problem ist wahrscheinlich lösbar, setzt aber eine mittel- und langfristige Planung voraus im Sinne einer insgesamt lebenswerten Beziehung zwischen Umwelt und Menschheit als Ganzes.

Natürlich stößt das Detailproblem "Biosprit" in die Kerbe des Weltwirtschaftssystem, verstärkt Probleme, die Versorgung mit (Über-)Lebensmitteln an sich betreffen. So lange die Welt von Riesenkonzernen und "ihren" Staatsregierungen beherrscht wird, ist es ein weiterer Sargnagel unserer Zukunft.

Dass dies gerade von Staaten der progressiven lateinamerikanischen Welt wie Kuba, Venezuela, Equador usw. erkannt und ausgesprochen wird, ist für mich ein Zeichen ihrer Vernunft...

Veröffentlicht in Venezuela u.a.

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:
Kommentiere diesen Post