Straftatbestand Fahnen mitführen - korrekt gehandelt...

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Sollte jemand nach der Lektüre des folgenden Artikels der Meinung sein, er lebe in einem Unrechts-Polizeistaat, so sei ihm vorsorglich ein Platzverweis für das Internet ausgesprochen... Quelle ist die aktuelle Ausgabe von "Sprachrohr", der Mitgliederzeitung des Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie Berlin-Brandenburg:

Wenn andere Regeln gelten

Pressetermin in Kreuzberg wurde zum Polizeieinsatz

Mitte Juni wollen Studierende gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern für bessere Bildung protestieren. Die Vorbereitungen für diesen bundesweiten Bildungsstreik laufen seit Monaten, es wird mobilisiert und informiert.

Berliner Studenten tauschten sich auch über internationale Aktionen und Erfahrungen aus.

Am 15. Mai waren Studierende aus Spanien in Berlin, um über ihre Proteste gegen die europäische Studienstrukturreform, den sogenannten Bologna-Prozess, zu berichten.

Nach Vorträgen an der Humboldt- und der Freien Universität war ein Pressegespräch in Kreuzberg geplant. Das wurde jedoch mit einem Großeinsatz der Berliner Polizei verhindert.

Freitagabend kurz vor acht. Ein kleines Café am Kottbusser Tor.

Das Pressegespräch zu internationalen Studierendenprotesten soll gleich beginnen, es wird noch auf Teilnehmer gewartet. Die Lage ist entspannt, Einige essen oder trinken etwas. Plötzlich stürmten etwa ein Dutzend behelmte Polizeikräfte heran. Die Tische im Außenbereich des Cafés »BackHaus Simitdchi« werden umstellt. Gebrüll:

»He, du da! Lass sofort das Telefonieren sein«. Nachfragen, was es mit diesem Einsatz auf sich hat, werden nicht beantwortet.

Weitere Beamte eilen herzu und Polizeifahrzeuge werden vorgefahren.

Ein Journalist zückt seine Kamera und beginnt, Fotos von der ungeheuerlichen Situation zu machen. Ein Polizist tritt an ihn heran: »Wir haben den konkreten Verdacht, dass Sie die hier gemachten Fotos veröffentlichen werden. Sollten Sie weiter fotografieren, werden wir ihre Kamera beschlagnahmen.« Der Fotograf beruft sich auf die Pressefreiheit.

Die schroffe Entgegenung des Gesetzeshüters: »Meine Ansage war kein Diskussionsbeitrag.«

Auf die Frage nach der Dienstnummer bekundet der Beamte, für solches Geplänkel gerade keine Zeit zu haben. Geradezu triumphal schildert er stattdessen in sein Funkgerät, dass er einem Fotografen erfolgreich gedroht hat,

die Kamera abzunehmen.

Inzwischen ist die komplette Straße mit Polizeifahrzeugen zugeparkt.

Mehr als 100 Polizisten sind vor Ort: neben Beamten der 21. Berliner Einsatzhundertschaft und der Direktionshundertschaft Kreuzberg-Friedrichshain auch Zivilbeamte vom polizeilichen Staatsschutz des Landeskriminalamts.

Auf die wiederholte Frage, warum dieser Einsatz stattfindet, folgt nur die Erklärung, dass das Kottbusser Tor ein Gefahrenschwerpunkt sei und hier andere Regeln gelten. Die Suche nach einem verantwortlichen Beamten läuft ins Leere: »Warum wollen Sie die den sprechen? Reden Sie doch mit uns.«

Augenblicke später werden alle Anwesenden einzeln abgeführt und in Polizeifahrzeuge gebracht.

Die Personalausweise werden eingesammelt.

Taschen werden durchsucht, Körper abgetastet. Eine Beamtin erklärt, dass ja alle wüssten »warum wir hier sind«,

nämlich wegen einer nicht angemeldete Demonstration. Der Polizeifunk im Fahrzeug verrät, dass in Nebenstraßen weitere Personen aufgegriffen wurden. Welche, die wohl auch so aussahen als könnten sie demonstrieren gehen.

Nach achtzig Minuten erklärt ein Beamter, dass nun ein Kollege vom polizeilichen Staatsschutz vorbeikommen

werde. »Der sieht Sie jetzt mal an. Wenn er Sie nicht kennt, können Sie wieder gehen.«

Weitere zehn Minuten später, also etwa eineinhalb Stunden nach Beginn der Festnahmen, darf der erste das Fahrzeug verlassen. Egal, ob jemand einen Presseausweis hat oder nicht – es gibt Platzverweise für halb Kreuzberg. »Sie können

sich ja beschweren – aber das ändert erstmal nichts daran, dass Sie hier weg müssen«, heißt es.

Am Folgetag gab die Berliner Polizei eine Presseerklärung heraus und verkündete, dass eine »nicht angemeldete Versammlung in Kreuzberg aufgelöst« wurde. Deborah Naumann vom Allgemeinen Studierendenausschuss der FU

Berlin konterte: »Das geplante Pressegespräch war keine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes.

Wo kommen wir hin, wenn wir neuerdings jedes Treffen mit Journalistinnen und Journalisten bei der Polizei

anmelden müssten?«

Kritik kommt nicht nur von den Studierenden. Berlins Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Rose-Marie Seggelke befürchtete, »dass hier kritische Menschen, die sich gegen die Bildungsmisere in ihren Ländern engagieren, eingeschüchtert werden« sollten. Auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di protestierte umgehend. In dju-Briefen an Polizeipräsident Dieter Glietsch und Innensenator Körting heißt es: »Wir erwarten, dass dieser Vorfall von Ihnen lückenlos aufgeklärt und die Öffentlichkeit über das Ergebnis informiert wird.

Eine Entschuldigung Ihrerseits gegenüber den Pressevertretern halten wir für das Mindeste...«

Die Pressestelle der Berliner Polizei reagierte am 19. Mai mit einer schriftlichen Stellungnahme auf Medienanfragen. Danach habe sich der Einsatz gegen eine Personengruppe gerichtet, »die sich im Bereich der Freitreppe am Kottbusser

Tor versammelte«. Und weiter: »Anders als behauptet, erfolgte der Einsatz nicht im ‚Backhaus Simitdchi’ und galt auch

nicht einer Pressekonferenz«.

In der taz vom 20. Mai bildete das Thema den Aufmacher des Berlin-Teils. Neben der Aussage eines Backhaus-Mitarbeiters, der die Schilderungen der betroffenen Studierenden und Journalisten bestätigte, war ein Foto vom

Polizeieinsatz am Café abgedruckt.

Am 25. Mai rechtfertigten Innensenator Körting und Polizeipräsident Glietsch im Innenausschuss den Polizeieinsatz als

»korrekt abgelaufen«. Laut dpa erklärten die Herren: »Die Polizisten hätten angemessen gehandelt, als sie 22 Menschen festhielten und kontrollierten... Die Gruppe hatte eine Fahne mitgeführt.

Die Polizisten seien von einer nicht angemeldeten Demonstration ausgegangen« und hätten »Platzverweise ausgesprochen. Zwei Sturmhauben seien beschlagnahmt worden.«

Björn Kietzmann

Veröffentlicht in politische Praxis

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