Jeder Mensch ist an sich wertvoll (W. Kaminer im jW-Interview)
Wladimir Kaminer (geb. 1967 in Moskau) wurde mit dem Erzählband »Russendisko« bekannt. Seit 1990 lebt er in Berlin. Ende August erschien von ihm »Meine russischen Nachbarn«
In der BRD ist es Sitte, daß sich Schriftsteller im Wahlkampf für die SPD einspannen lassen: von Günter Grass bis Juli Zeh. Sie stellen sich im Wahlkampf an die Seite von Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht und Katja Kipping. Warum engagieren Sie sich für die Linke?
Warum heute nicht mehr?
Was sind denn in Ihren Augen linke Inhalte?
Selbst die Reichen sind Sklaven des Kapitals. Das kann man gut in Rußland beobachten. Menschen, die dort im Turbokapitalismus sehr schnell reich geworden sind, haben dieses »dem Kapital dienen« noch nicht so im Blut. Aber wenn sie sagen: Ich steige aus, kaufe mir eine Insel und liege nur noch am Strand, dann funktioniert das nicht.
Das Kapital entledigt sich dieser Herren und sucht sich neue sogenannte Besitzer, deren Aufgabe in Wirklichkeit ja nur darin besteht, das Kapital seiner selbst wegen zu vermehren. Das ist eine Angelegenheit, die mir nicht menschlich erscheint. In einer menschlichen Gesellschaft würde der Mensch an Stelle des Kapitals stehen. Die Menschen werden dann vermehrt, gestreichelt und gebildet.
Das entspricht den Motiven derjenigen, die den Sozialismus erkämpft haben.
Zur Zeit des Kalten Krieges galt die Sowjetunion in ultrakonservativen Kreisen des Westens als »Reich des Bösen«. Zwanzig Jahre nach ihrem Zusammenbruch ist Rußland längst ein kapitalistischer Staat, wird von den Medien aber immer noch als bedrohlich dargestellt.
Die Linke will eine Öffnung dem Osten gegenüber vorantreiben. Die liegt auch mir sehr am Herzen. Man hat die Menschen im Westen ideologisch in einer bestimmten Richtung gefüttert. Es gab bestimmte Informationen, die überhaupt nicht lebensnotwendig sind, die sie aber alle wissen mußten und anderes, das sie nicht wissen sollen. So kam es zum »Reich des Bösen«.
Auf Drängen der US-Regierung darf General Motors heute Opel nicht an die Russen verkaufen. Selbst mit einem kleineren Aktienpaket, als kleinerer Bruder, sind die Russen nicht gerne gesehen.
Die Realität im Jahr 2009 sieht so aus, daß Übersiedler aus den sozialistischen Staaten sogenannten Ostblock für diese Gesellschaft überqualifiziert sind. Gestern fuhr ich hier mit einem Taxifahrer aus Montenegro, der mir erzählte, daß die Russen in seiner Heimat viel investiert haben. Ich fragte ihn: »Warum bist du dann hier und fährst Taxi?« »Ich habe hier vier Jahre lang den jugoslawischen Konsul gefahren«, sagte er. Dann kam der Krieg und die Mutter riet ihm, nicht zurückzukehren. Seitdem fährt er Taxi. Der Konsul lustigerweise auch. Nun fragte ich ihn, was denn der Botschafter heute mache, ob der auch Taxi fahre. »Nee«, sagte er: »Der Botschafter hat eine Baufirma. Aber der Botschafter in Chicago fährt Taxi.«