direkte Demokratie - ein linkes oder rechtes Ding

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Heute bringt die jW den zweiten großen Artikel, der sich kritisch mit dem Begriff der "direkten Demokratie" befasst. Normalerweise mag ich es nicht, über so etwas zu schreiben, anstatt die Originalformulierungen zu verwenden. Versuch:
Für problematisch halte ich den Ansatz Thomas Wagners, sich irgendwie von einem Begriff abgrenzen zu müssen, weil er gerade durch Rechtsextreme und Neoliberale missbraucht wird.
Alle sprachlichen und Zeichen-Begriffe gehören zur Kultur und sind gewollt oder ungewollt ideologisch belastet und gebrauchbar - also auch missbrauchbar.
Nur auf den esten Blick mag also verwundern, wenn ein Begriff wie "direkte Demokratie", der so wunderhübsch freundlich klingt, seines ursprünglich emanzipatorischen Gehalts beraubt zum antilinken Kampfbegriff werden könnte.
Der negative Eindruck wird durch das Bildmaterial verstärkt. Wenn der letzte große Volksentscheid in Berlin halt der über "pro Reli", also ein widerlich reaktionärer war, so bringt diesdoch eigentlich nur zum Ausdruck
- wenn das Volk direkt befragt wird, kommt es erst einmal auf die "richtigen" Fragestellungen an,
- welche Antworten "das Volk" gibt, ist natürlich im weitesten Sinne ein Problem seiner Bildung oder "Aufgeklärtheit".
Wenn als Beispiel sich 70 Prozent der Deutschen in einem Volksentscheid für die Wiedereinführung der Todesstrafe aussprächen, wäre dann das Mittel der direkten Befragung oder das durch die Medien breit geförderte primitive Hasspotential dafür zuständig.
Thomas Wagner vernachlässigt auch, dass es trotz geringen emanzipatorischen Gesamtpotentials Fragestellungen gäbe, deren progressiver Ausgang die Herrschenden eben vor der breiten Durchsetzung plebeszitärer Möglichkeiten zurückschrecken lässt: Afghanistan wäre dann längst ein Stück afghanischer...
Richtig ist zweifellos, was über "bonapartistische" Bestrebungen gesagt wird. Die Direktwahl von Oberhäuptern konzentriert Macht in dann nicht mehr beherrschbaren Händen. Den Bundespräsidenten durch das Volk wählen zu lassen, solange er rein repräsentative Aufgaben, abe nichts zu entscheiden hat, wäre belanglos - ein neuer Hindenburg aber siche eine Gefahr. Sogar etwas zu kurz kam bei der Erörterung dieser Frage ein "Entpolitisierungseffekt": Angenommen, der Bundespräsident oder gar -kanzler würde direkt gewählt - was beeinflusste die Wahlentscheidung am stärksten? Nicht die Programmatik, sondern mehr noch als bei heutigen Wahlen die reine pesönliche Sympathie - und diese wieder die nackte Medienpräsenz - ein Grund, weshalb in den USA so oft halbseidene Schauspieler in hohe Wahlämter kommen konnten.
"Direkte Demokratie" muss ein Leitmotiv der Linken bleiben - abe bitte nicht ein "Arnie for President"...

Veröffentlicht in Debatte

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