EBS über linke Rebellionen innerhalb der SPD

Veröffentlicht auf

Rebellion in der SPD




22.09.09
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Gewerkschaftlich organisierte Mitglieder wollen Kurswechsel und Bruch mit der Führung

Von Edith Bartelmus-Scholich

Gewerkschaftlich organisierte Mitglieder der SPD aus mehreren Bundesländern haben sich wenige Tage vor der Bundestagswahl am 27.9.09 mit einem Aufruf an die Parteibasis und die Öffentlichkeit gewandt. In dem zweiseitigen Papier wird der Aufruf die SPD zu wählen mit der Forderung eines politischen Richtungswechsels und dem Bruch mit der Führung der SPD gefordert. Dazu heißt es herausgehoben: "Es gibt keine dringlichere Aufgabe, als die SPD von ihrem gescheiterten Führungstrio zu befreien!"

Offener Aufstand

Auslöser der Initiative ist die Erkenntnis der UnterzeichnerInnen, dass ohne eine politische Kurskorrektur die Lasten der Finanz- und Wirtschaftskrise zu großen Teilen auf die Beschäftigten abgewälzt werden: "Alle wissen, das Programm, was die Krise diktiert, wird das der Massenentlassungen sein; es wird das Programm des Sozialabbaus, der Zerstörung der Sozialversicherungssysteme und des Zusammenbruchs der öffentlichen Haushalte als Folge der Milliardenhohen Staatsverschuldung für die Rettung der Spekulanten sein; das Programm der Zertrümmerung der noch erhaltenen Grundpfeiler des Sozialstaats."

Dem gegenüber fordern die Rebellen aus der eigenen Interessenlage heraus: "Wir, die arbeitende Bevölkerung und Jugend, brauchen eine Regierung, die Sofortmaßnahmen ergreift, wie sie mit dem "Moratorium in Sachen Entlassungen" von der IG Metall gefordert wurde, was für die Kollegen nur heißen kann: ein wirkliches Moratorium, das Entlassungen verbietet; eine Regierung, die für die wirkliche Rettung der 26 000 Arbeitsplätze bei Opel und der Produktionsstandorte eintritt, den Erhalt aller Arbeitsplätze staatlich garantiert und die Produktion und Vermögen unter staatlichen Schutz stellt; die mit staatlichen Investitionen die industrielle Produktion vor allem im Osten wieder aufbaut; eine Regierung, die nicht zurückweicht vor der EU, die die staatliche Garantie von Arbeitsplätzen und Produktionsstandorten verbietet und die Milliardenflutung zur Rettung der Bankenspekulation, sowie die entsprechenden Einschnitte in die Sozialhaushalte und die Privatisierung der Öffentlichen Daseinsvorsorge gebietet; eine Regierung, die die Milliarden, die den Banken, Spekulanten und Konzernen gegeben wurden, zurück führt, um die öffentlichen Haushalte, auch der Länder und Kommunen, aus dem "Würgeband der Staatsverschuldung" (verdi) zu befreien; eine Regierung, die für den sofortigen Stopp des Kriegseinsatzes in Afghanistan und den Rückzug aller deutscher Truppen entscheidet."

Die UnterzeichnerInnen der Erklärung sehen realistische  Möglichkeiten einer politischen Kurskorrektur nur auf der Bundesebene. Die Spielräume von rot-rot-grünen Landesregierungen werden vor dem Hintergrund der Ergebnisse der rot-roten Landesregierung in Berlin als dürftig eingeschätzt. Dazu heißt es: ""Sparen bis es quietscht" - die soziale Lage der Berliner Kinder ist dramatisch, jedes dritte Kind lebt von Hartz IV; die sozialen Jugendeinrichtungen, Krankenhäuser, Schulen und Universitäten werden unter dem Spardiktat geschrumpft; die Löhne und Gehälter für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurden im Bruch mit dem gewerkschaftlichen Flächentarifvertrag drastisch gekürzt."

Insgesamt konstatieren sie, dass die bisherige Politik der SPD den Interessen der Arbeitnehmerbasis der Partei zuwiderläuft. Sie folgern: "Wir sehen nur eine Regierung, die solche politischen Maßnahmen ergreifen könnte und würde: das kann nur die Regierung einer SPD sein, die öffentlich vor dem Volk mit der Politik der Steinmeier, Müntefering, Steinbrück und Schröder gebrochen und sich auf solche politische Maßnahmen verpflichtet hat."

Zur Erreichung des Kurs- und Führungswechsels in der SPD wollen die Rebellen die Mitgliederbasis und die soziale Basis der Partei mobilisieren: "Auf unsere Fähigkeit und Entschlossenheit kommt es an - und wir vertrauen voll auf die Unterstützung durch die Mobilisierung der Arbeitnehmer und Gewerkschaften gegen die Krisenabwälzungspolitik - für die Erhebung der Arbeitnehmerbasis der SPD einzutreten, um die SPD aus der Unterwerfung unter die jetzige Führung und ihre Politik zu befreien und die Perspektive zu eröffnen für die Eroberung einer SPDRegierungsmehrheit für das dringlich geforderte Schutzprogramm für die Bevölkerung."

Riesige Illusionen

In der Erklärung verbinden sich berechtigter Protest gegen eine arbeitnehmerfeindliche Politik der SPD mit gravierenden Fehleinschätzungen. Schon die einseitige Schuldzuweisung an die SPD-Führung greift zu kurz. Die Politik der SPD mag den Vorstellungen einer in das politische System integrierten Führungsriege entspringen, dass sie durchgesetzt werden kann, ist aber auf die Parteistrukturen, den Parteiapparat, den Mittelbau im Funktionärskörper und den Wandel in der Mitgliederbasis der Partei zurückzuführen. Seit Jahrzehnten wird die Partei von oben nach unten regiert, Konzepte werden aus dem Apparat heraus entwickelt und fast alle FunktionsträgerInnen leben als MandatsträgerInnen mehr als auskömmlich von den "Segnungen des parlamentarischen Systems". Natürlich verfügt dieser Funktionärsapparat allein über Mitarbeiter, Geld und Zugang zu  Medien um seine Konzepte durchzusetzen. Die Mitgliederbasis, die Politik nicht als Beruf betreibt, hat einem derartigen Funktionärsapparat nicht viel entgegenzusetzen.

Bleibt einzig die Hoffnung, dass sich die Mitgliederbasis und die soziale Basis der Partei erheben und mit viel Druck eine Kurskorrektur und einen Führungswechsel erzwingen können. Diese Hoffnung der  Rebellen fusst ebenfalls auf Fehleinschätzungen. Als Gerhard Schröder 2003 mit der Agenda 2010 und Hartz IV unmissverständlich klar machte, wie seine lockeren Sprüche zu Beginn der rot-grünen Regierungsjahre: "Mit mir ist eine Regierung gegen die Wirtschaft nicht zu machen." , und: "Es gibt kein Recht auf Faulheit." zu verstehen waren, gab es in der SPD nur wenig Opposition. Diese Minderheit trat größtenteils aus der Partei aus, ca. 50.000 Mitglieder verließen die SPD allein im Jahr 2004, ein kleiner Teil von ihnen gründete die WASG und arbeitet heute in der Partei DIE LINKE. Nicht nur, dass dies die Möglichkeiten heute eine Mehrheit für eine Kurskorrektur und einen Führungswechsel zu erringen zusätzlich schmälert, auch für die Schwäche der innerparteilichen Opposition gegen die Agenda-Politk Schröders gab es Gründe, die über die Strukturanalyse der Partei hinaus gehen.

Mitgliederbasis und soziale Basis der SPD haben sich seit den 1970er Jahren sehr verändert. Anfang der siebziger Jahre waren der Partei viele junge Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen und guten Berufsaussichten beigetreten. Sie sollten in den kommenden Jahrzehnten den Funktionärskörper der Partei zunehmend bestimmen. Der Einfluss der Arbeiter in der Partei ging in gleichem Maß verloren. Die bildungsbürgerliche Mittelschicht, die seitdem den Funktionärskörper der SPD stellt, hat vor allem die Interessen der eigenen Schicht im Blick und versucht dementsprechend die SPD als "Partei der neuen Mitte" zu etablieren. Ideologisch untermauert wird dieser Kurs durch die Pflege der Illusion die BRD sei eine Leistungsgesellschaft, in der die Leistung des Einzelnen im wesentlichen für seine Stellung in der Gesellschaft maßgeblich sei. Dem mit dem Abbau der industriellen Arbeitplätze zu Millionen erzeugten Prekariat wird somit nicht solidarisch beigestanden, sondern empfohlen sich als "Unternehmer der eigenen Arbeitskraft" neu zu erfinden - im Niedriglohnsektor, unter Arbeitszwang oder als Hungerkünstler.

Erst als nun mit den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise absehbar ist, dass die Politik von Agenda 2010 und Hartz IV mit Massenentlassungen Millionen einholen wird, die sich bislang ihrer Arbeitsplätze und ihres Lebensstandards relativ sicher waren, beginnt ein Umdenken bei einem weiteren Teil der SPD-Basis. Immer noch aber wenden die UnterzeichnerInnen der Etklärung sich nur an die Arbeitnehmer, also die Beschäftigten und nicht auch an das Prekariat und die Erwerbslosen. Folgerichtig fordern sie ein Verbot von Entlassungen, nicht aber die Abschaffung von Hartz IV. Der politische Kurswechsel wird ihnen bezeichnenderweise genau in dem Moment wichtig, da die "Reform" sie als bisher Mitverantwortliche ebenfalls zu fressen droht. Dies weist darauf hin, dass sie seinerzeit wie heute SPD-Politik nicht für alle Lohnabhängigen, sondern nur für die Beschäftigten entwickeln. Der vermeintliche Bruch mit der nur der Führung angelasteten SPD-Politik der vergangenen Jahre ist somit nur ein Riss an der Oberfläche.

Die Vorstellung, dass um ihre Arbeitsplätze kämpfende Belegschaften die SPD-Spitze nach der Bundestagswahl zu einem Rückzug veranlassen könnten, ist wenig belastbar. Die UnterzeichnerInnen der Erklärung wissen selbst, dass in der kommenden Bundestagsfraktion die bisherige Führung und ihr Anhang auf weitere vier Jahre unabhängig von der Parteibasis mit Mitarbeitern, Geld und Medienunterstützung arbeiten kann. Die Chance, die Führung auszuwechseln wurde längst vertan. In der Bundestagsfraktion wird  es nach der Neuwahl des Bundestags kaum noch Parteilinke geben. Abgesehen davon ist eine Führungsalternative in der SPD nicht sichtbar. Es ist auffällig, dass kein einziger bekannter SPD-Politiker des linken Flügels die Erklärung unterzeichnet hat. Diejenigen, die eventuell im Stande wären die SPD-Spitze herauszufordern, haben die Partei vor Jahren verlassen und bauen nun DIE LINKE als sozialdemokratische Partei auf. Große Teile der Wählerbasis der SPD orientieren aus guten Gründen zwischenzeitlich nicht mehr auf die SPD sondern auf DIE LINKE, wie die UnterzeichnerInnen der Erklärung selbst feststellen.

Gleichzeitig müsste den UnterzeichnerInnen auch klar sein, dass nicht nur die SPD, sondern auch die von ihnen mit angerufenen Gewerkschaftsführungen ihren Anteil an der Politik der letzten Jahre haben. Gegen Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze regte sich auch in den Gewerkschaften kaum Widerstand. Große Teile der Gewerkschaftsführung hängen ebenso einer Politik der Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland an, wie die SPD. Und auch heute noch, nach der Erfahrung, wie mit Hartz IV der Ausbau des Niedriglohnsektors vorangetrieben und die Kampfkraft der Beschäftigten untergraben wurde, vertreten die Gewerkschaften nur die Beschäftigten, nicht aber die Lohnabhängigen insgesamt.

Die Initiative der UnterzeichnerInnen kommt daher insgesamt zu spät und greift zu kurz um erfolgreich sein zu können. Sie leitet keinen Wandel der SPD, sondern nur ein Umdenken von Minderheiten in der Parteibasis ein und ist daher als Zeichen zunehmender Erosion der Partei zu werten.

Edith Bartelmus-Scholich, 22.9.09

Veröffentlicht in politische Praxis

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