Die Driebe-Schule. Theoretische Debatte über die Epoche, in der wir leben (2)

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Fassen wir zusammen: Die Auffassung Herbert Driebes, man solle den „Sozialismus“ in drei Etappen einteilen, nämlich die „kleine Übergangsperiode“ als unmittelbare Eroberung der politischen Herrschaft bis zum Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse, die „lange Übergangsperiode“ als „sozialistische Revolution in Permanenz“ bis zum Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse (im Wesentlichen) weltweit und den eigentlichen Sozialismus als (tatsächliche) „Übergangsperiode“ zum Kommunismus (diesen dann mit den z.B. in Lenins „Staat und Revolution“ zusammengefassten Merkmalen wie u. a. absterbender Staat usw.), ist ein Fortschritt in der Betrachtung der Geschichte der Gegenwart, aber eventuell noch kein ausreichender. Sie beschreibt letztlich Entwicklungsfetzen aus nationalem bzw. regionalem Blickwinkel.

Die Pariser Kommune ließe sich dabei noch notdürftig einordnen, indem man unterstellt, die sozialistischen Produktionsverhältnisse hätten dort nie gesiegt. Dem steht allerdings gegenüber, dass Marx in ihr eine neue Staatlichkeit entdeckt zu haben glaubte, das Ansatzmuster eines Staates unter sozialistischen Bedingungen.

Aber gerade unter dem Gesichtspunkt temporärer oder regionaler Gegenbewegungen der Geschichte erscheint es mir zweckmäßiger, von einer einheitlichen „Übergangsperiode“ auszugehen, in der die eigentlichen Vorzüge des Sozialismus noch nicht so weit ausreifbar sind, dass sie die Ablösung von Klassengesellschaften überhaupt realistisch erscheinen lassen, anders ausgedrückt, dass man ihr den Namen Sozialismus geben kann. (Das sagt absolut nicht darüber, dass „man“ nicht aus agitatorischen Gründen behaupten dürfe, man sei auf dem Weg zum Sozialismus. Das ist man ja.)

Diese „einheitliche Übergangsperiode“ hat begonnen mit den 72 Tagen der Pariser Kommune; zu ihr gehören die 72 Jahre Sowjetrussland (einschließlich der Episode eines ersten „sozialistischen Weltsystems“) – genau wie die Erfahrungen, die daraus gezogen wurden bzw. noch zu ziehen sind. Aller guten Dinge sind drei und ob der dritte Anlauf schon begonnen hat bzw. wann und wo er tatsächlich beginnt, das können erst unsere Nachfahren wissen. Wir wissen nur, dass es diesen dritten Anlauf geben kann und, soll dieser Planet weiter intelligentes Leben tragen, auch geben muss.

Hauptmerkmal der ganzen Periode ist, dass die Formen des Klassenkampfes weltweit durch die Kapitalistenklasse bestimmt bzw. wesentlich mitbestimmt werden. Eine Folge dessen ist, dass die Vorzüge des Sozialismus im Komplex nicht zur Entfaltung kommen (können) und er damit bis zum Schluss nicht sicher ist.. Bei aller sozialen Sicherheit, die es als prinzipielles Ziel aller Politik beispielsweise in der DDR gegeben hat, war dies noch nicht möglich.

(Auf das Problem, auf das Ilona Meyer im Studium besonders hingewiesen hat, komme ich später noch einmal zurück, nämlich auf die Unvergleichbarkeit der Maßstäbe der Gesellschaftsordnungen Kapitalismus - Sozialismus.)

Wer würde im Nachhinein ernsthaft auf die Idee kommen, die Zeit des russischen Bürgerkriegs als Sozialismus zu bezeichnen. Das ist natürlich trotzdem möglich. Ein solcher potentieller Bürgerkrieg tobte und tobt aber weltweit.

Wir müssen uns deshalb Gedanken machen, welche Merkmale Sozialismus kennzeichnen, sobald er tatsächlich als solcher bezeichnet werden kann.

  1. Das letzte Ziel alles Handelns, wirtschaftlich wie politisch oder auf anderen Gebieten, ist die Entwicklung und immer umfassendere Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung und die Entfaltung allseitig gebildeter und genussfähiger Menschen. Dieses Ziel löst alle ökonomistischen Ziele ab bzw. verwandelt sie in bloße Mittel zu ihrer besseren Durchsetzung. Diesem Ziel des Handelns ordnen sich die folgenden Merkmale unter.
  2. Die ökonomischen Grundlagen für Ausbeuterklassen sind beseitigt. Das bedeutet nicht, dass es überhaupt keine Kapitalisten mehr geben darf. Das bedeutet erst recht nicht, dass es keine sich ideologisch reproduzierende kapitalistische Gruppierung geben darf (deren Aktivitäten gegenüber staatliche Abwehr- bzw. Unterdrückungshandlungen erforderlich sein können). Das bedeutet aber, dass ein auf die Macht gesamtgesellschaftlichen Eigentums gestützter Staat die Verfügungsgewalt über das Bankwesen besitzt, über die Kommunikationsindustrie und die (regional unterschiedlichen) entscheidenden Wirtschaftszweige.
  3. Es sind Regularien vorhanden, mit der dauerhaft eine umfassende Beteiligung immer breiterer Teile der Bevölkerung an der Lösung aller gemeinschaftlich anstehenden Aufgaben in Politik und Wirtschaft gewährleistet wird. Dies hieße sozialistische Demokratie und ist wahrscheinlich mittels eines Rätesystem abzusichern, innerhalb dessen möglichst viele Aufgaben unmittelbar an der jeweiligen untersten Ebene entschieden werden, gewählte Vertreter unbedingt verantwortlich gemacht werden können und müssen. Das setzt ihre reale soziale Gleichwertigkeit (Entlohnung) und jederzeitige Abwählbarkeit voraus.
  4. Wichtigstes Mittel zur Gestaltung von Wirtschaft und Gesamtgesellschaft ist ein durch die werktätige Bevölkerung gemeinsam erarbeiteter und durchgesetzter, wissenschaftlich fundierter, einer sozialistisch-kommunistischen Ethik entsprechender Plan.
(Fortsetzung vom 28.1., wird weiter fortgesetzt)

Veröffentlicht in unsere Epoche

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