Horrorpresse aus Bolivien?

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Bolivien: Im Land der zwei Wirklichkeiten

01.04.2008 | 19:16 |  Von unserer Korrespondentin CORNELIA MAYRBÄURL (Die Presse)

Seit gut zwei Jahren regiert der Indio-Sozialist Evo Morales Bolivien. Das hat die Kluft vertieft.

LA PAZ/SANTA CRUZ. Etwas mehr als zwei Jahre nach dem hoffnungsvollen Amtsantritt von Evo Morales – Boliviens erstem Präsidenten, der nicht zur weißen Oberschicht zählt – wird in La Paz gewettet, wie lange sich der 48-jährige Indigene noch im Amt halten kann. Nach gescheiterten Dialogversuchen bereiten sich Anhänger und Gegner auf eine Konfrontation vor, die wohl auf der Straße stattfinden wird: Morales' Partei MAS („Bewegung zum Sozialismus“) will nämlich eine neue Verfassung erzwingen, während radikale MAS-Fans den Oppositionsabgeordneten den Weg ins Parlament versperren.

Allerdings wackelt die Einheit des Landes seit langem kräftig: Mindestens vier Provinzen im Osten und Süden planen für Mai Autonomie-Referenden, um sich von der dirigistischen Zentrale in La Paz abzukoppeln.

In Bolivien gibt es mindestens zwei verschiedene Realitäten: Santa Cruz, das Zentrum des östlichen Tieflands mit seinem ganzjährig subtropischen Klima, ist in den vergangenen 20 Jahren zur zweitgrößten Stadt gewachsen. Die Landwirtschaft floriert, für die Zuwanderer aus dem kargen Hochland gibt es viel Arbeit – und damit die begründete Hoffnung auf mehr Wohlstand.


Sexy Chicas im Jeep und arme Kleinbauern

Sexy gekleidete Frauen parken abends ihre Geländewagen vor In-Lokalen, wo sie etwa „Autonomie-Salat“ bestellen können, und bei der Wahl zur „Miss Bolivia Tropical“ treten gar nicht wenige blonde Kandidatinnen an. An mancher Tankstelle bedienen Mädchen in Mini und Stöckelschuhen.

Zwölf Stunden Autofahrt entfernt ringen derweil Kleinbauern auf 4000 Meter Höhe mit Ochsengespann und Spitzhacke mageren Böden ihr Überleben ab. Hüte und weite Röcke schützen die Frauen vor der stechenden Sonne und nachts vor der Kälte in den Lehmhütten. In der Mondlandschaft oberhalb des Talkessels, in dem La Paz liegt, entstand durch den Zuzug arbeitsloser Bergarbeiter die Satellitenstadt „El Alto“: ein endloses Meer kleiner Ziegelhäuschen ohne Heizung und Warmwasser. Die Gewinne der Straßenhändler sind klein und man kann an den Gesichtern der Aymara- und Ketschua-Indios ablesen, wie hart ihr Leben ist. Sie zählen auf das Versprechen ihres „Bruders“ Morales, durch Boliviens Reichtum, der in den Öl- und Gasvorkommen schlummert, schon bald deutlich besser dran zu sein.

Doch Morales' konfrontative Politik gegenüber fremden Ölkonzernen, deren Investitionen und Know-how unersetzbar sind, bewirkte, dass weniger Öl und Gas gefördert wird als möglich wäre: Bolivien kann so Lieferverträge mit Ländern wie Brasilien und Argentinien nicht mehr einhalten.


Radikalisierte Stimmung

Zwar erhalten arme Bolivianer über 60 nun eine kleine Pension; aber die strukturellen Probleme, die über Jahrhunderte entstanden, lassen sich nicht durch etwas Sozialhilfe und mehr Eingriffe in die Wirtschaft lösen, schon gar nicht so schnell.

Die Stimmung auf beiden Seiten ist indes radikalisiert: Jeder will seinen Willen, und zwar sofort. Verbietet die Regierung den Speiseöl-Produzenten im Osten wegen steigender Inlandspreise den Export, sperren diese die Grenzen. Die Hauptverkehrsader von La Paz ist fast täglich von irgendeiner Interessengruppe blockiert, sodass keiner weiß, warum heute wieder Chaos herrscht. Wer reist, weiß nie, wann er ankommt.

Durch seinen allzu sozialistischen Kurs und aufgrund des großen Einflusses, den sich Venezuelas Präsident Hugo Chávez etwa mit Geld für Boliviens Militär erkauft, hat Morales die Unterstützung der Mittelklasse verloren. Eine Soziologiestudentin aus gutem Haus, die im Dezember 2005 Morales wählte, bereut dies schon.

Nicht alle Bolivianer mögen auch, dass Morales (er ist nach wie vor Präsident der Gewerkschaft der Koka-Bauern) nur lax gegen den Koka-Anbau vorgeht. Auf der Fahrt durch die Hauptanbauregion Chapare sind die Blätter neben der Straße auf Plastikplanen zum Trocknen aufgelegt. Ein Handwerker verdient 60 Bolivianos (gut fünf Euro) pro Tag, ein Koka-Pflücker 100.


Gekaufte Indigenen-Vertreter

Gonzalo Ramirez ist Holzschnitzer und wirkte an der Renovierung jener beeindruckenden Kirchen mit, die die Indigenen auf Befehl der Jesuiten vor 300 Jahren im Urwald der Provinz Santa Cruz bauten. Er zeichnet ein düsteres Bild: „Bolivien hat einiges hinter sich, aber so autoritär wie jetzt ging es noch nie zu.“ Die „Cabildos“, Versammlungen angesehener Männer der indigenen Gemeinschaft, würden von der Regierung unterwandert. „Viele warten nur mehr darauf, wieder Geld und Kleider zu kriegen, damit sie beim nächsten Protest mitmarschieren.“ Überhaupt seien viele Venezolaner in der Gegend.

Der Präfekt der Provinz Santa Cruz und die Unternehmer sind entschlossen, das auf einer Unterschriftenaktion basierende Referendum über mehr Autonomie am 4. Mai abzuhalten. Die nationale Wahlbehörde hat es verboten, die regionale Wahlbehörde heißt es gut, und eine klare Mehrheit für mehr Eigenständigkeit ist sicher. Auch wenn, was viele bezweifeln, Evo Morales in Wahlen noch eine Mehrheit hätte: Zu vielen Bolivianern sind Morales' Pläne zu radikal. Der nötige Minimalkonsens zwischen Reich und Arm, zwischen Hoch- und Tiefland für gemeinsamen Fortschritt ist nicht in Sicht.

ZUR PERSON

Juan Evo Morales Ayma (*26.10.1959 in Isallawi) ist seit 2006 Boliviens Präsident. Der Aymara-Indio aus ärmster Familie (vier Brüder starben als Kinder) war Fußballer, Kokabauer und gründete in den 90ern das „Movimiento al Socialismo“, das gegen Kapitalismus und Neoliberalismus auftritt und für die Rechte der Armen kämpft. Moral- es ist eine Ikone der Globalisierungsgegner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2008)

gefunden in blog.amistad-bolivia.info/

Veröffentlicht in Venezuela u.a.

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