Wenn der kubanische Botschafter im "junge Welt"-Shop ist - die offenzielle Version

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Revolution gerettet

Etappen- statt Systemwechsel: In der jW-Ladengalerie wurde über die Perspektiven Kubas diskutiert

Von Peter Steiniger
Kontinuität des Aufbaus des Sozialismus unter neuen Bedingungen.
Gerardo Peñalver: Kontinuität des Aufbaus des Sozialismus unter neuen Bedingungen
Geht für den tropischen Sozialismus bald die Sonne unter? Die nach dem Rückzug des erkrankten Fidel Castro eingeleitete Politik hat Spekulationen über einen anstehenden Systemwechsel in Kuba entfacht. Die Debatte in der jW-Ladengalerie am Donnerstag abend ging von einer anderen Prämisse aus: »Kuba – weiter sozialistisch«. Gerardo Peñalver, Botschafter des Landes in der Bundesrepublik, und der Linkspartei-Politiker Hans Modrow, 1989 DDR-Ministerpräsident, stellten den 100 Anwesenden dem von der Presse in den westlichen Metropolen gezeichneten Bild ihre Sicht auf die Realität entgegen.

Gerardo Peñalver macht veränderte Bedingungen für den Aufbau des Sozialismus in seinem Land aus, die sich nicht allein aus einem Wechsel des Führungspersonals ergeben. Eine Autorität wie Fidel Castro sei ohnehin nicht ersetzbar. Nun müsse die »Kriegswirtschaft« zurückgelassen werden: Gemeint ist die schwere Krise, in die Kuba durch das Verschwinden der Sowjetunion geriet. Der jetzt von Fidels Nachfolger als Präsident, Raúl Castro, angestoßene Öffnungsprozeß hätte bereits vor zwanzig Jahren beginnen sollen. Doch in der sogenannten Spezialperiode der 90er Jahre habe die Aufgabe gelautet, »die Revolution zu retten«. In der neuen Etappe gehe es darum, mehr wirtschaftliche Effizienz und politische Demokratie zu verwirklichen. Trotz des Wirtschaftswachstums gebe es viele ungenutzte Reserven, und Kuba sei weiter von Lebensmittelimporten abhängig.

Hans Modrow, der aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt, vom »großen Bruderland« verabschiedet zu werden, brachte seine Erfahrungen mit Kuba aus verschiedenen Zeiten in das Gespräch ein. Zuletzt führte er im Feb­ruar in Havanna politische Gespräche. Er kann dort eine Aufbruchsituation »nach einem Rückschlag ohnegleichen« ausmachen. Dennoch habe Kubas Wirtschaftsleistung erst jetzt wieder den Stand von 1990 erreicht. Ein »chinesischer Weg«, wie von manchen unterstellt, sei nicht die Option für Kuba. Wie auch Peñalver verwies er auf die Chancen, die sich aus der Integration fortschrittlicher Länder der Region ergeben. »Die Prozesse in Lateinamerika stellen für mich den Beginn einer neuen Ära dar, die über den Kapitalismus hinausweist.«

Der Botschafter zeigte auf, daß Abschottung keine Lösung für Kuba sei: In einer globalisierten Welt könne es sich nicht länger »wie in einer Käseglocke« entwickeln. Die Alternative zum Kapitalismus müsse in der Realität ihre Überlegenheit beweisen, nicht durch Parolen. In den letzten Monaten sei die Presse in Kuba kritischer geworden, auch gegenüber Funktionären, Freiräume für Künstler und Intellektuelle seien gewachsen. Die größte Herausforderung sieht Peñalver, selbst Jahrgang ’69, darin, die junge Generation zu gewinnen. »Die Schlacht von heute wird nicht in den Bergen gewonnen.«

Für die Leute, die bereits Aktien in der Erwartung erwerben, daß in Kuba der Sozialismus demnächst perdu ist, hat der Botschafter folgende Depesche: »Sie haben in eine Revolution investiert.«

"junge Welt" vom 05.04.2008 / Feuilleton / Seite 12

Veröffentlicht in Venezuela u.a.

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