Die Zukunft denken (15)

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Dietrich hatte zugegebenermaßen seinen Vortrag mit einem peinlichen Fehler eröffnet. Er hatte angemerkt, dass seine wissenschaftliche „Schule“ unabhängig von zwei europäischen Forschungsteams zum selben Ergebnis wie diese gekommen sei und hatte dies als Beleg dafür angebracht, dass das Ergebnis wohl richtig sein müsse. Unter der Voraussetzung, dass die Erde eine Scheibe wäre, könnten Seefahrer, die weit hinaus führen nur zwei Schicksale erleiden: Entweder sie plumpsten in irgendeinen Wasserfall-Malstrom oder sie rammelten gegen das Seitenende der Himmels-Käseglocke, die über die Grundscheibe gestülpt sein müsste. Und wenn Tausende Wissenschaftler in Zehntausenden klugen Schriften zum selben logischen Schluss gekommen sein sollten, wäre dies ein Beweis? (Drei ist sowieso keine statistisch „verifizierbare“ Größe für einen Beweis.) Cockshott wiederum verfing sich so in mathematische Strukturen, dass sie der eine Teil der Zuhörer nicht verstand, während der andere Teil überlegte, ob denn die Logarithmenrechnung richtig sei. Die Folge war verhalten zustimmender Beifall, als danach ein marxistischer universalgelehrter Philosoph die verallgemeinernde Schlussfolgerung in Grund und Boden stampfte: Computer seien schließlich nichts weiter als ein technisches Werkzeug. Sie könnten also die Produktionsverhältnisse nicht umwälzen. Ich fand beides traurig. Dass ein Gelehrter dies sagte und dass das linkslastig interessierte Publikum ihm dabei zuklatschte. Dabei sollte doch einleuchten, dass schon früher Werkzeuge wie Webstühle und Fließbänder die bis dahin vorherrschenden Produktionsverhältnisse ins Reich des überholten Gestern versenkt hatten. Cockshotts These, dass eine echtzeitnahe realdatengestützte Planung erst seit fünf, sechs Jahren, aber eben jetzt möglich sei, ist doch so etwas von folgenschwer! So 100%ig traut sich auch Diederich es nicht zu Ende vorzuspielen (vielleicht ist es in ihren Büchern): Eine Gemeinschaft, die in Echtzeit die Ergebnisse von veränderten Input-Output-Relation optimieren könnte, wie hier technisch die Angebots-Nachfrage-Beziehungen genannt werden, wäre endlich wirtschaftlich einer verzögert vom Markt „gesteuerten“ Wirtschaft überlegen. Dass das nur geht, wenn man die Macht über den gesamten Wirtschaftsraum besitzt, seine Eigentümerfunktion also praktisch ausüben kann, ist logisch zwingend. Cockshott ist Computerwissenschaftler, er muss es wissen, wenn er sagt, dass praktisch Berechnungen angestellt werden können, bei denen auf beiden Achsen zehn Millionen Faktoren abgearbeitet werden können, wenn auch nur deshalb, weil die größere Zahl der mathematischen Eingabeoptionen real immer Null ist. Sechs Sekunden und man könnte die optimalste wirtschaftliche Entscheidung treffen. Das ist doch etwas Anderes als ein auf die menschliche Phantasie einiger Möchtegern-Wirtschaftslenker gestützte Erarbeitung eines Kommando-Planes im alten Sozialismus-Anflug, dessen Realitätsgehalt bereits bei seiner Veröffentlichung von Raumschiff Enterprise übertroffen wurde.

Veröffentlicht in Zukunft denken

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