Die Zukunft denken (17)

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Der letzte theoretische Bogen, der von den Referenten gezogen wurde, war der des Eigentums bzw. der Verteilungsgerechtigkeit. Dieterich propagierte die These, dass die Eigentumsfrage heute eine unbedeutende, zumindest gegenüber der praktischen Nutzungsmacht untergeordnet sei. Als im Parteilehrjahr brav geschultes kleines Licht neigte ich sofort zu Widerspruch. Dann kam aber ein Gedanke, der bei aller Mangelhaftigkeit im Detail eine die Grundthese tragende Attraktivität hatte: Dieterich ging auf die durch Marx in der Kritik zum Gothaer Programm aufgegriffene Vergütung der Arbeitstätigkeit auf Basis individueller Arbeitszeit zurück. Jeder Arbeitende erhielte einen „Schein“, der ihn berechtigte, aus der Gesamtmasse aller verfügbaren Güter so viele zu entnehmen wie es insgesamt der eingebrachten Arbeitszeit entspricht. Da diese „Scheine“ nicht wie Geld übertragbar sein sollten, wäre es dem Unternehmer überlassen, seine Managerqualitäten als „eins“ einzubringen. Der reine Eigentumstitel wäre aber wertlos. Hier kam der nächste Exkurs: Heute sei schließlich möglich, persönliche Chipkarten aufzuladen und bei Gebrauch entsprechend zu entladen – wieder ein Argument, dass die Umsetzung einer fortschrittlichen Idee an entsprechend fortschrittliche Technik gebunden sei. Ich fand auf Anhieb mehr Argumente gegen diese Form der Gleichstellung menschlicher Arbeit als der Referent zur Widerlegung frei gab. Aber es war spannend: das ganze System war es zumindest wert, gründlicher durchdacht zu werden. Um weiter schreiben zu können, musste ich also die beiden strittigen Bücher gelesen haben.

Auf eines waren die Referenten natürlich nicht eingegangen: Wie man von der einen Welt in die andere kommt. Das war dem Nachmittag überlassen. Dort suchte man wiederum einen anderen Konsens: Es sei ja gar nicht so wichtig, möglichst vollständige Zukunftssysteme zurechtzuutopieren. Man müsse das auf dem Weg ausprobieren. Hier grummelte wieder Widerspruch in mir: Ich möchte doch wissen, ob das, worauf der alltägliche Kleinkrieg letztlich abzielen soll, insgesamt sowohl wünschenswert, wenn nicht sogar ideal ist, genau wie die beste Phantasie in dem Moment Fiktion bleibt, wenn es überhaupt keinen Weg (mehr) gibt, auf sie zu zu steuern. Dass dabei das Steuerrad gelegentlich hin und her bewegt werden muss, weil Eisberge den Kurs kreuzen, ist überhaupt nicht die Frage. Wenn ich tagelang nur durch ödes Wasser schippern soll, möchte ich vorher wissen, dass ich einmal auf fruchtbares Land stoßen werde. Es macht mir auch nichts aus, wenn ich meine Neue Welt vorher für Indien halte und sie sich nachher als Amerika erweist. Was davon Sozialismus oder Kommunismus ist, ist auch egal. Ich muss einfach wissen, ob es nach dem Königreich Exxon/McDonalds noch eine Rolle vorwärts gibt.

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