Geht es uns zu gut?

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Wenn sich besonders CDU-Größen in Deutschland mit Äußerungen hervortun, den Hartzies gehe es zu gut und die Armen in Deutschland seien ja eigentlich gar nicht arm, dann drücken sie eine makabre Wahrheit aus:
NOCH muss in Deutschland niemand verhungern. Wir vergessen mit ... über-alles-Blicken, dass das in der Welt - obwohl technisch längst nicht mehr nötig - wirklich Millionen Menschen widerfährt.

Dank ein paar Hungerrevolten ist das wenigstens etwas in unser Bewusstsein gerückt.

Nun gibt es mehrere Gründe, dies nicht als Maßstab zu nehmen. Wie pervers muss jemand sein, um gedanklich überhaupt auf die Idee zu kommen, dass da ein Mitmensch Hunger kennen muss, um zu funktionieren? Aber dass bei uns Arme nicht verhungern, weil man ihnen Brosamen gönnt, hängt natürlich damit zusammen, dass anderswo der Hunger gefördert wird (!!!). Ausnahmsweise meine ich nicht die wahnsinnige Verschwendung an Arbeitsergebnissen für Rüstung und kapitalistischen Gebrauch von Wirtschaftsmacht, sondern das, was die "junge Welt" thematisiert:

 

Handelsschranken, Subventionen, »grüne Gentechnik«, Spekulation: Die Ursachen für die weltweite Ernährungskrise sind menschengemacht – und damit behebbar

Von Annette Groth und Alexander King
Mit westlicher »Hilfe« ins Elend: Kenianer bei der Verteilung vo
Mit westlicher »Hilfe« ins Elend: Kenianer bei der Verteilung von Mais-Spenden durch das Rote Kreuz (Nairobi, 6.1.2008)
»Ein geschichtsträchtiger Kampf ist im Gange, der am Ende stärker die Zukunft der Menschen auf dem Planeten bestimmen wird als die weitaus lauteren Kriege um Erdöl, der Terrorismus oder politische Ideologien. Es ist der Kampf darum, wer am Ende den Anbau, die Verarbeitung und Verteilung der Nahrungsmittel der Welt kontrolliert.« 1

Debbie Barker, stellvertretende Direktorin des International Forum on Globalization, San Francisco, USA

Die aktuellen Diskussionen über die Nahrungsmittelkrise und die Rolle der Landwirtschaft in den Ländern des Südens bergen eine große Chance für die Durchsetzung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Landwirtschaftspolitik. Allerdings ist auch die Gefahr groß, daß die kapitalistische, export­orientierte und konzerngesteuerte Agroindustrie mit einer umfassenden Umgestaltung und Unterwerfung der Landwirtschaft unter ihre Kontrolle und kapitalistischen Verwertungsbedingungen erfolgreich sein wird. Dazu gehört die Wiederbelebung der »grünen Revolution«, die in Afrika in den 1990er Jahren gescheitert war. Durch diese Strategie sollte die landwirtschaftliche Produktion in Entwicklungsländern durch neue Technologien und den verstärkten Einsatz von Pestiziden gesteigert werden. Ihr Erfolg war zwar zunächst eine Ertragssteigerung, hatte aber mittel- und längerfristig negative Auswirkungen wie die Verseuchung der Böden durch Pestizide, die Verbreitung von Monokulturen und eine Konzentration von Landbesitz.

Ein wesentlicher Grund für den Mißerfolg der »grünen Revolution« war damals der Rückgang öffentlicher Gelder sowie der Entwicklungshilfe für den landwirtschaftlichen Sektor, nachdem dieser nicht mehr als Kernbereich einer armutsorientierten Wachstumsstrategie angesehen worden war. Die landwirtschaftliche Förderung konzentrierte sich statt dessen immer stärker auf den Anbau von Exportwaren wie Kaffee, Kakao, später auf Schnittblumen und Obst und andere Produkte mit angeblichen »Standortvorteilen«.

Zugleich trieben Lebensmittelimporte aus den USA und der EU, verbilligt durch Subventionen und den erzwungenen Abbau von Schutzzöllen, viele einheimische landwirtschaftliche Betriebe in den Bankrott und schienen sie überflüssig zu machen. So fanden sich diverse afrikanische Länder in einem Teufelskreis wieder: Die Förderung des Landwirtschaftssektors und der Anbau von Nahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung gingen rapide zurück; sinkende Weltmarktpreise, auch durch das Auslaufen internationaler Verträge wie dem Kaffeeabkommen, reduzierten die Einkommen. Das Beispiel Kenia zeigt das Ausmaß dieser Fehlentwicklung: Während dort mit Unterstützung durch die internationalen Geber – auch Deutschland – eine boomende, ausfuhrorientierte Agrarwirtschaft (Blumen als Exportschlager!) aufgebaut wurde, kommt es in dem Land zugleich regelmäßig zu Hungerkatastrophen (wie zuletzt 2006), weil die eigene Bevölkerung aus der einheimischen Produktion nicht mehr ernährt werden kann. Bis in die 1980er Jahre versorgte sich Kenia wie viele andere Länder mit Grundnahrungsmitteln selbst, heute importiert es 80 Prozent seiner Lebensmittel.

Ungerechte Handelsabkommen und Agrarexportsubventionen sind maßgeblich für die zunehmende Armut und den Hunger sowie für die Zerstörung der Märkte der Entwicklungsländer verantwortlich. »Hähnchen des Todes« werden die aus Europa importierten Hühnerteile in Kamerun genannt, zum einen, weil sie vielfach halb aufgetaut und dadurch oft mit Salmonellen und anderen Erregern infiziert sind, vor allem jedoch, weil sie mit ihren niedrigen Preisen einheimische Geflügelzüchter in den Ruin treiben. Eine ähnliche Katastrophe zeichnet sich für Tausende Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in etlichen afrikanischen Ländern ab, die von Geflügel- auf Schweineaufzucht umgestiegen sind und seit Anfang des Jahres mit billigem Schweinefleisch aus der EU konkurrieren müssen. Im Dezember 2007 hatte die EU klammheimlich Agrarexportsubventionen von bis zu 0,54 Euro pro Kilo für EU-Schweinefleisch beschlossen.

Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) errechnete, daß den Staaten Afrikas jährlich 700 Milliarden US-Dollar an Exporteinnahmen durch den Protektionismus der EU in Form von (Agrar-) Subventionen, nicht-tarifären Handelshemmnissen und Schutzzöllen verlorengehen.

Wenn die EU und ihre Mitgliedsländer die Landwirtschaft in Afrika fördern und den Hunger effektiv bekämpfen wollen, müssen sie die Subventionen sofort streichen und einer Außerkraftsetzung der Interims-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zustimmen, die viele AKP-Länder (Afrika, Karibik, Pazifik) unter großem Druck des EU-Handelskommissars Ende 2007 unterzeichnet haben. Die Annullierung dieser Freihandelsabkommen, die die AKP-Staaten zu einer drastischen Zollsenkung für Importwaren und zu einer weiteren Marktöffnung, nicht nur für Industrie- und Agrarprodukte, sondern auch für Investitionen, Dienstleistungen und das öffentliche Beschaffungswesen zwingen, fordern inzwischen etliche Regierungen und der Afrikanische Gewerkschaftsbund. Die WPAs würden die »Entwicklung im gesamten Süden untergraben«, warnen Studien. Eine der schärfsten Kritikerinnen der »Partnerschaftsabkommen« ist Aminata Traore, ehemalige Kulturministerin Malis, die die WPAs folgendermaßen charakterisiert: »Europa verlangt von uns Wettbewerbsfähigkeit, aber mit China erfährt es Wettbewerbsfähigkeit am eigenen Leib und kriegt die Panik. Europa schickt uns seine Hühnerbeine, seine Gebrauchtwagen, seine abgelaufenen Medikamente und seine ausgelatschten Schuhe, und weil eure Reste unsere Märkte überschwemmen, gehen unsere Handwerker und Bauern unter. Jetzt schickt China seine Produkte nach Europa, und zwar nicht einmal Reste, sondern saubere, wettbewerbsfähige Waren. Und was tut Europa? Es diskutiert Zölle. Also sage ich: Auch Afrika darf sich schützen. Europa kann doch nicht vor China Panik kriegen und zugleich von Afrika Öffnung verlangen. (…) Für uns sind diese Abkommen die Massenvernichtungswaffen Europas«. (taz-Interview, Juli 2005)

(Wiedergabe des Artikels wird fortgesetzt)

Veröffentlicht in politische Praxis

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