Endlich erschienen: Der Anti-Sarrazin ... und Köln feiert den Autoren am 15.3.!
Von: salz_gpp-einladung@yahoo.de <salz_gpp-einladung@yahoo.de>
Betreff: Einladung! "Anti-Sarrazin", Buchvorstellung mit dem Autor Sascha Stanicic am 15.03.2011 // Veranstalter SAV und SALZ Köln
An: "Michael Rieger" <literaturundmehr@yahoo.de>
Datum: Dienstag, 8. März, 2011 12:47 Uhr
"Anti-Sarrazin", Buchvorstellung mit dem Autor Sascha Stanicic Datum: Dienstag, 15.03.2011 Thilo Sarrazins Buch “Deutschland schafft sich ab” hat das Land polarisiert. Für die einen spricht er unbequeme Wahrheiten aus, für die anderen verbreitet er dumpfen Rassismus. Aber Sarrazins Buch ist auch eine Kampfschrift für eine Sozialpolitik gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Er zeigt, dass Rassismus und Sozialabbau zwei Seiten der selben Medaille sind.
Dieses Buch liefert nicht nur Argumente gegen Sarrazins Behauptungen und Forderungen. Es erklärt den Hintergrund der so genannten Integrationsdebatte und stellt Rassismus und Sozialabbau in einen geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang. Sascha Stanicic stellt das Buch vor und ihr seid herzlich eingeladen. Die Veranstaltung findet gemeinsam mit der Bildungsgemeinsschaft SALZ e.V. statt. Sascha Stanicic: Anti-Sarrazin. Argumente gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit und Kapitalismus. Hg. von der Sozialistischen Alternative – SAV. Berlin 2011. ISBN 978-3-00-033237-1. 161 S. € 7,50
Nach dem Auflagenerfolg des Sarrazin-Machwerks und der anschließenden öffentlichen Diskussion – beide mit Hilfe der bürgerlichen Medien vorbereitet und organisiert – war ein „Anti-Sarrazin“ mehr als überfällig. Leider wird er wohl nicht annähernd die Auflagen Sarrazins erreichen und vermutlich auch nur in der linken Öffentlichkeit – wenn überhaupt – wahrgenommen werden. Das ist bedauerlich und das ist gleichzeitig die Crux dieses und ähnlicher Bücher zu Themen der Zeit: Die wenigsten der Menschen, die es lesen sollten, werden es lesen – die meisten erfahren kaum von seiner Existenz – und die Menschen, die es lesen, sind sowieso nicht besonders anfällig für Sarrazins Propaganda. In diesem Fall ist zu sagen: Sie sollten es trotzdem lesen!
Nach der Lektüre kommt einem spontan die Idee, dass eigentlich die Bundeszentrale für politische Bildung dieses Buch nachdrucken und kostenlos an Lehrer und Schüler aller Schulen verteilen müsste. Diese Träumerei ist natürlich unrealistisch und würde vermutlich nicht einmal Realität, wenn die PDL an der Bundesregierung beteiligt wäre. Jedenfalls ist das Buch didaktisch vorzüglich aufgebaut, es ist gut lesbar, flüssig und verständlich geschrieben, zur politischen Bildung also bestens geeignet.
Stanicic beginnt mit einigen Fragen: Was sagt Sarrazin? (S. 11-15), Warum hat Sarrazin sein Buch geschrieben? (S. 16-19), Die Sarrazin-Debatte: Tabubruck oder Kampagne? (S. 20-30), Migration und Integration – Schafft sich Deutschland ab? (S. 30-61). In seiner Antwort auf die erste Frage weist er nach, dass die Grundaussage des Buches „Klassenkampf von oben“ ist, eine Verbindung von „Neoliberalismus pur“ mit rassistischem Nationalismus. Nebenbei entkleidet er Sarrazin seines Anspruchs, sich als „Universalgelehrter“ in „Ökonomie, Politik, Geschichte und Naturwissenschaft“ zu präsentieren und lässt ihn ziemlich „nackt“ zurück. Die Frage nach der Motivation wird mit einem kurzen Blick auf die Biographie Sarrazins und der Erkenntnis beantwortet, dass dieser „zum kapitalistischen Establishment“ gehört und sein Buch als „Vertreter seiner Klasse“ in deren Interesse geschrieben hat, „auch wenn sich einige seiner Klassenbrüder“ darüber echauffieren. Anschließend wird die Frage nach der Debatte anhand zahlreicher Beispiele als das enttarnt, was sie war und z.T. noch ist, eine große Kampagne zur Steigerung der Verkaufszahlen, mit der BLÖD als führendem Werbeblättchen (wie jetzt für KTG) und dem Ergebnis, dass Sarrazins Gedankengut gerade bei den abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen und Hartz-IV-Empfängern, also bei den Hauptgegnern des Klassenkampfs von oben, gute Verbreitung findet. Das Buch müssen sie dafür noch nicht einmal lesen, es reicht die tägliche Frühstückslektüre. Einziger „Tabubruch“ ist der offene biologische Rassismus, der in dieser Form im Nachkriegsdeutschland bisher von der herrschenden Klasse nicht vertreten wurde. Hier sei er „in seinem Eifer“ auch „aus Sicht der Mächtigen einen Schritt zu weit gegangen“. Die Frage nach der „Abschaffung Deutschlands“ – wohlgemerkt für Sarrazin eine schreckliche Vorstellung! – beantwortet Stanicic mit einer kurzen aber prägnanten und faktengestützten Darstellung der Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Deutschland, der tatsächlichen Lage der Migranten und der diesbezüglichen herrschenden Politik. Dabei enttarnt er quasi nebenbei den ideologischen Kampfbegriff „Integration“ und das Konstrukt „deutsche Kultur“ (die geforderte „Leitkultur“). Der Abschnitt beschäftigt sich mit dem Titel des Sarrazin-Machwerks („Deutschland schafft sich ab“) und dementsprechend hat der Autor versucht, die wesentlichen Inhalte seiner Kritik hier zusammenfassend und konzentriert zu formulieren. Das ist ihm überzeugend gelungen.
Im Mittelteil des Buches folgen die Kapitel Islamfeindlichkeit als neuer Rassismus (S. 62-86), Arbeit, Bildung und Soziales – Sarrazins wahres Gesicht (S. 87-100), Das mit den Genen und der Intelligenz (S. 101-109), Was ist Rassismus – und warum gibt es ihn? (S. 110-125). Da für Sarrazin Muslime und Islam eine zentrale Funktion in seinem Feindbild haben, war es mehr als angebracht, diesem Aspekt ein besonderes Kapitel zu widmen. An dieser Stelle ist kein Platz für eine inhaltliche Zusammenfassung, aber wohl für Lob. Ich finde, dass Stanicic es in diesem Kapitel schafft, beispielhaft und anschaulich die Position zu entwickeln, die Linke, vor allem marxistische Linke, zum Islam und zu Muslimen haben sollten. So überzeugend, wie er „Ehrenmorde“, „Kopftuchfrage“, „Moscheen und Minarette“, „Imperialismus und islamischen Fundamentalismus“ abhandelt und gegen die tumb-rassistische neue Islamfeindlichkeit Stellung bezieht, so deutlich kritisiert er auch den „rechten politischen Islam“ und die Fehler „nicht weniger Linker“, „die aus einem falsch verstandenen Antiimperialismus heraus“ reaktionäre Organisationen wie die Hamas oder gar das iranische Mullah-Regime als Bündnispartner betrachtet haben und z.T. noch betrachten. Da möchte man gleich ein paar Exemplare des „Anti-Sarrazin“ bestellen und in der Redaktion der jungen Welt verteilen! Das „wahre Gesicht“ Sarrazins ist eines, das in den TV-Talkshows und in den Aufmachern der BLÖD-Zeitung tatsächlich nicht besonders zur Geltung kam, aus gutem Grund nur verschwommen zu sehen war: Sarrazin als Klassenkämpfer für Sozialabbau und Elitebildung. Auch hier war es wichtig, das in einem besonderen Kapitel hervorzuheben. In den darauf folgenden zwei Kapiteln zur Genetik/Intelligenz und zum Rassismus zeigt Stanicic, dass er – ganz im Unterschied zu Sarrazin – auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ist. In der Sarrazin-Debatte konnte man ja beobachten (z.B. bei der Diskussion über das sogenannte „Juden-Gen“), dass Sarrazin die Quellen, auf die er sich berief (in diesem Fall eine israelische Debatte, die im Berliner Tagesspiegel wiedergegeben worden war), ganz offensichtlich gar nicht verstanden hatte. Zu diesem Schluss muss man jedenfalls kommen, wenn man ihm nicht bewusste Fälschung unterstellen will. Sarrazin kann sich also genau genommen überlegen, ob er in diesem Stück lieber den Depp oder den Fälscher geben will. Vor genau der Wahl stand kürzlich auch der Bundesverteidigungsminister. Es scheint sich dabei um ein verbreitetes Phänomen in der politisch herrschenden Klasse zu handeln. Bei Stanicic erfahren wir jedenfalls das, was in der seriösen Wissenschaft schon seit langem weitgehend unbestritten ist: Intelligenz hat mit Genetik nur sehr wenig zu tun und biologische Menschenrassen gibt es gar nicht, alle Menschen dieser Erde gehören zu einer einzigen Rasse (Homo sapiens sapiens). In entsprechenden Diskussionen verweise ich immer mal wieder auf einen Vergleich, der auf Grundlage der Forschungsergebnisse des Human Genom Projects gemacht wurde, und der vor ein paar Jahren, ich glaube in American Scientist, publiziert wurde: 47 Schimpansen, willkürlich im Busch gefangen, haben untereinander eine höhere genetische Diversität als die gesamte Menschheit. Kritisch sei angemerkt, dass Darwin in diesem Zusammenhang positiver hevorzuheben gewesen wäre: Er hat sich gerade nicht dazu verleiten lassen – obwohl es dem Zeitgeist entsprochen hätte – von „Menschenrassen“ zu reden und das ohne unseren heutigen Kenntnistand der Genetik. Es gibt zahlreiche Indizien, die dafür sprechen, dass er nicht an die Existenz von „Menschenrassen“ geglaubt hat und das war für seine Zeit (und seine Funktion als Begründer der Evolutionstheorie) wirklich in höchstem Maße fortschrittlich. Es erscheint auch nicht „auf den ersten Blick widersinnig, dass gerade die Zeit der Aufklärung auch den Rassismus hervorgebracht hat“ (S. 113). Die ökonomistische Erklärung, die folgt, kann bestenfalls als Anlass, aber keineswegs als Grund herhalten, denn die genannten ökonomischen Gründe gab es bereits lange vor der Aufklärung, in den Frühzeiten des Kolonialismus. Mit der Aufklärung wurde der Mensch wesentlich auch Gegenstand der Naturwissenschaft – bis dahin war er Gegenstand der Theologie – und damit von seinem Podest als Auserwählter Gottes heruntergeholt. Als biologisches Wesen war er der Naturwissenschaft zugänglich. Hätten sich Neandertaler-Populationen bis in unsere Zeit gehalten, hätte es ja tatsächlich auch zwei biologische Menschenrassen gegeben.
Das Buch schließt mit den Kapiteln Kommt die Sarrazin-Partei? und Alternativen zu Sarrazin und wie man sie erreichen kann. Das erstgenannte bringt durchaus eine scharfsinnige Analyse der Chancen einer rechtspopulistischen Bewegung in der heutigen deutschen Politik. Hingegen ist „Alternativen zu Sarrazin“ schon recht unglücklich formuliert und bringt viel SAV-Politsprech, wie man es auch aus der solidarität kennt.
Damit kommen wir zur Kritik: Viel habe ich hier nicht anzumerken. Grundsätzlich merkt man beim Lesen, dass der Autor dieser Streitschrift Bundessprecher der SAV ist. Nicht mit allen politischen Einschätzungen, vor allem denen in Nebensätzen, kann man sich identifizieren, wenn man nicht sowieso SAV-Fan ist. Aber das schmälert den Wert des Buches nicht wirklich. Formal muss ich anmerken, dass man dem Buch leider anmerkt, dass es die Eigenproduktion eines relativ kleinen Vereins ist und dass daher noch nicht viele Erfahrungen mit der Produktion von Büchern gemacht worden sind. Verlag und Setzer sei hiermit mitgeteilt: Zu den Sieben Todsünden bei Satz und Layout gehört die gleichzeitige Verwendung von Anführungszeichen und Kursivsetzung. Das ist nicht nur unnötig sondern auch hässlich und irritierend! Es ist verboten, seit Bücher gemacht werden und spätestens nach der Revolution wird es unter schwere Strafe gestellt, dafür werden wir sorgen!
Ingo Nentwig _____________ |