Vollidiot Pawel Kortschagin - ein harter jW-Ausrutscher

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Meist ist es gut, auch die veröffentlichten Leserbriefe zu lesen. Schon oft ist es damit der "junge Welt" gelungen, die in einem Artikel vertretene einschichtige Sicht durch Ergänzungen und Gegenargumente "runder" zu machen. Dies lässt sich oft nicht vermeiden, weil ein klitzekleines Stück ist eben ein Kollektiv doch klüger als ein Einzelmensch Journalist.

Der Ausrutscher, der diesmal moniert wurde, war allerdings schon sehr starker Tobak:

" ... besonders, wenn er den ausgemachten Vollidioten Pawel Kortschagin, den kein vernunftbegabtes Ostkind je ernst genommen hat ..." formuliert da Grit Lemke tatsächlich wörtlich.

Mir ist der Artikel durchgerutscht, weil der Dok-Film über Michail Chodorkowski mich definitiv weniger interessiert wie ein einzelnes nicht gesetztes Zeichen in der Dissertation unseres deutschen Mörderbetreuers.

Aber zu der Entgleisung muss ich doch mehreres sagen:

1. In einem Zeitungsartikel, der ansonsten keine Spur von Satire oder Ironie enthält, ist das Maß der unfehlbaren Absolutheit der Aussage definitiv nicht akzeptabel - und sei es, weil es jedem Andersdenkenden von vornherein die "Vernunftbegabung" abspricht.

2. Ich muss zugestehen, dass in der Zeit unmittelbar nach der Behandlung von "Wie der Stahl gehärtet wurde" im Unterricht das Wort "Kortschagin" in meiner Klasse als abwertende Beleidigung gebraucht wurde - sinngemäß wie heute etwa "Spasti" - als Mensch mit offensichtlicher Macke. Allerdings sehe ich dies als Ergebnis im Wesentlichen dreier Faktoren an:

- Unreife der Schüler, sich in die beschriebenen Situationen hineinzuversetzen (also noch fehlende Vernunft),

- Unfähigkeit der Lehrplangestalter, die sowohl zu früh als auch zu wenig "kindgerecht" das Buch zum Pflichtlehrplan gemacht haben,

- Schwäche der konkreten Lehrer, trotzdem die moralische Substanz des Buches den Jugendlichen nahe zu bringen.

3.  Hier in diesem Blog muss ich den Roman besonders herausheben: Viel später habe ich den Roman erneut gelesen. Einam zu DDR-Zeiten, einmal zu Zeiten, als die Selbstverständlichkeit, seinen Lebenwert über nützliche Arbeit bestätigt zu bekommen, für uns DDR-Bürger verloren gegangen war.  "So richtig" verstand ich das Buch erst im Oberwasser Kapitalismus. Klar - die Zahl der "Sehenden" war zu aller Zeit kleine als wünschenswert, aber dieser Pawel tat eben genau nichts Absonderliches, sondern er handelte VERNÜNFTIG, wenn er sich selbst als Mensch akzeptieren wollte. Ich würde der Frau Lemke empfehlen, dieses Buch auch noch einmal als Erwachsene zu lesen. Ich hoffe, dann verstünde sie ihren Fehgliff als Fehlgriff.

4. Der Artikel beginnt mit der Wertung von "fadenscheinigen Gründen", die zu weiteren 17 Jahren Haft für den Emporkömmling geführt haben. Wenn man akzeptierend daneben stellt, dass ein Herr Landowski als Ehrenmann weitere "Freiheit" genießt, dann hat die Autorin allerdings Recht.  Viel schlimmer kann der Typ nicht sein und er erscheint wie ein willkürlicher Griff. Aber eine linken Journalistin stünde dergedankliche Umkehrschluss besser: All die Geier des modernen Kapitalismus gehören zu dem einen in die Zelle - so wie die ganze gesellschaftliche "Ordnung" in den Müllcontainer

Veröffentlicht in politische Literatur

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