Zur Driebe-Schule. Ein Beleg zur Planung im Sozialismus

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Die Zeitschrift "Rotfuchs" ist wahrlich keine, die den "Realsozialismus" verunglimpfen will. Sie fragt aber, was wir anders machen müssen, damit es beim nächsten Mal besser endet. Sie bringt in der Februar-Ausgabe einen Artikel, der aus sicht eines in "mittlerer Leitungsebene" Beteiligten, wie die damalige "Planung" aussah - ein besserer Beleg für die These von der eben noch nicht erreichten "Planwirtschaft" gefällig?

Es war nicht alles Gold, was glänzte

Erfahrungen eines Wirtschaftsplaners

Nach dem VIII. Parteitag der SED 1971 gab es bei uns ohne Zweifel spürbare Verbesserungen der Lebensbedingungen der Bevölkerung. Die Partei- und Staatsführung hob vor allem die äußerst günstigen Preise für Waren des Grundbedarfs, die niedrigen Mieten und entsprechende Energie- und Verkehrstarife hervor. Gerade angesichts des heute festzustellenden enormen Preisauftriebs in der BRD war das auf den ersten Blick ein besonders einleuchtender Vorzug des Lebens in der DDR.

Doch schon vor Jahrzehnten machten Fachleute, leider nur zaghaft, darauf aufmerksam, daß die sogenannte Politik der Hauptaufgabe, wie sie der Parteitag formuliert hatte, nicht nur positive Seiten hatte. Unter Wirtschaftswissenschaftlern und -praktikern in der DDR gab es solche, die sich für eine Korrektur aussprachen.

Erich Honecker und Günter Mittag, gegen die sich im Politbüro kein Einspruch erhob, blieben indes bei ihrer Linie. Der Umschlag der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik in das Primat der Sozialpolitik mit all seinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen setzte letztlich die Existenz der DDR aufs Spiel.

Einerseits fielen die laufenden Ausgaben im monatlichen Familieneinkommen besonders niedrig aus, während gleichzeitig in bestimmten Abständen spürbare Lohnerhöhungen erfolgten. Andererseits wurden die an sich schon zu geringen Amortisationsfonds und Gewinne von Betrieben und Kombinaten auch noch in zu großem Umfang zentralisiert, wodurch die Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen in der Mehrzahl der Wirtschaftseinheiten der Konsumtions- und Produktionsmittelherstellung hinter dem Erforderlichen zurückblieben. Das führte zwangsläufig zur Überalterung der materiell-technischen Basis und zum Vorauseilen der zahlungsfähigen Nachfrage gegenüber dem Angebot an hochwertigen Konsumgütern.

Außerdem wurden einseitige Rang- und Reihenfolgen der Investitionen und eine abgestufte Versorgung der Bevölkerung mit Unterschieden zwischen Berlin, Leipzig, Arbeiterzentren, weiteren Städten und Dörfern verfügt. Mangelwaren kamen selten bei denen an, die keine Beziehungen besaßen. So blieb es nicht aus, daß viele Bürger der DDR ihre Blicke und zunehmend ihre Schritte dem durch die BRD-Medien raffiniert propagierten westdeutschen Konsumangebot zuwandten.

Man muß dabei in Betracht ziehen, daß in den 80er Jahren die Arbeitslosenquote in der BRD noch relativ niedrig war, so daß verbreitet die Meinung bestand, wer arbeiten könne und wolle, der finde auch etwas.

Hinzu kam, daß das Wohnungsbauprogramm einseitig konzipiert war. Was vor allem auf der grünen Wiese durch eine Überkonzentration von Arbeitskräften und Baumaterialien entstand, erbrachte zwar in kurzer Zeit eine große Zahl von Neubauwohnungen, aber auch langjährige Rückstände an bedeutsamen Folgeinvestitionen.

Das schmälerte das Wohlbefinden im Territorium. Die einseitige Ausrichtung auf ein Maximum an bezugsfertigen Wohnungen im Planzeitraum bewirkte Abstriche in bezug auf Vielfalt, Kosten, Qualität, Werterhaltung, Nutzungsdauer und Architektur. In nicht wenigen Städten verödeten die Zentren und ganze Straßenzüge.

Die DDR war ein relativ autarkes Industrieland mit einer entwickelten Landwirtschaft und umfangreichen Außenwirtschaftsbeziehungen.

Der Hauptbereich Industrie gliederte sich in mehrere Großbetriebe, zahlreiche mittlere Werke und unzählige kleinere Produktionsstätten und war nach gleichartigen Erzeugnislinien zu Kombinaten vereinigt. Diese bedurften einer aufeinander abgestimmten volkswirtschaftlichen Koordinierung.

In ihrer Summe hätten Milliarden von Zusammenhängen in Übereinstimung gebracht werden müssen. Hochkompliziert war die Beherrschung der Reproduktionsprozesse, an der es vor allem mangelte.

Die Planung ging den Weg, Grundprozesse mit Hilfe von globalen Kennziffern zu leiten und zu lenken. Unter ihnen wurde der Industriellen Warenproduktion (IWP) der Vorrang eingeräumt, die vor allem auf Mengenzuwachs zielte. Dadurch glitten so wichtige Erfordernisse wie Gebrauchswerteigenschaften, Verbesserung der Qualität, Steigerung der Produktivität, Senkung der Kosten, Verbreiterung des Sortiments, Erhöhung des Gewinns, Ausdehnung des Neuheitsgrades, Verlängerung der Nutzungsdauer, Gewährleistung des Reproduktionsprozesses und Erreichung der Weltmarktfähigkeit oftmals in die Zweitrangigkeit ab. Die Wirtschaftseinheiten besaßen keine ausreichenden Möglichkeiten, den Gewinn
als ökonomischen Hebel zur Nutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts einzusetzen.

Die DDR stellte ausgehend von Parteibeschlüssen Fünfjahres- und Jahrespläne auf, die erfüllt werden mußten. Was die Fünfjahrpläne betraf, so erfolgte nie eine öffentliche Plan-Ist-Abrechnung, so dass Nichterfüllungen angenommen werden müssen. Der Beweis für die These „Was die Partei beschloß, wird sein“, wurde nicht angetreten. Aber gegen Ende jedes Jahres häuften sich Meldungen über vorfristige Planerfüllungen, die nicht nur bei Insidern Skepsis auslösten.

Seit den 70er Jahren bestand das Hauptübel der Planung insbesondere darin, dass nicht die Betriebe und Kombinate mit der besseren Übersicht über das Gegebene und Mögliche mit ihr begannen, sondern die Zentrale ohne hinreichende spezifische Kenntnisse „anspruchsvolle“ staatliche Planaufgaben erteilte, auf deren Grundlage Planentwürfe erarbeitet und beim Minister verteidigt werden mußten.

Erwartet wurde die Einhaltung und Überbietung des Vorgegebenen. Ein Darunter wies man zurück. Manchmal gab es Zusagen über zusätzliche Bereitstellungen. Doch diese blieben häufig aus.

Nach einer Phase der zentralen Koordinierung erhielten die Kombinate staatliche Planauflagen. Oft überschritten sie die vorherigen Aufgaben. Ihre Erfüllung wurde zum Gesetz erhoben. Traten „Rhythmusstörungen“ auf, was mehrfach der Fall war, wurden aus Alibigründen dem Büro Stoph Plankorrekturanträge zugestellt. Meist gab es keine Antwort.

Die Kombinate waren verpflichtet, die Auflagen auf die Struktureinheiten des Stammbetriebes sowie auf die Kombinatsbetriebe aufzuschlüsseln. Um große Auseinandersetzungen zu vermeiden, erhielten soviel Einheiten wie möglich erfüllbare Auflagen, und die nichtspezifizierbaren blieben in einer Hand. Somit war gesichert, daß viele Erfüllungsmeldungen eingingen.

Schwierig wurde es, wenn der SED-Bezirksleitung Meldung zu erstatten war. Als erstmals eine Nichtplanerfüllungsnachricht des Kombinats, in dem der Verfasser tätig war, die zuständige Bezirksleitung erreichte, stellte der dortige Gesprächspartner dem Berichterstatter die Frage, ob er es verantworten könne, daß der 1. Sekretär, zugleich Politbüromitglied, als Erster in der Parteiführung die Nichtplanerfüllung seines Bereiches – das Kombinat erzeugte 10 Prozent der IWP des Bezirkes – bekanntgebe?

Von diesem Tag an erfüllten wir immer unsere Pläne. Wie das so plötzlich möglich wurde, gehörte zu den bestgehüteten Geheimnissen. Man brachte das Argument: Kein Werktätiger, der Jahr für Jahr gut arbeitet, würde es verstehen, wenn er wegen Nichtplanerfüllung einen Teil seiner Jahresendprämie einbüße. Es wären Fragen nach der Schuld aufgekommen, die sich wahrscheinlich auch nach oben gerichtet hätten. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Das neue Jahr begann wieder bei null.

Prof. Dr. Wolfgang Kawelke, Halle

Unser Autor war Stellvertreter des Planungschefs

eines Industriekombinats.

„Rotfuchs 2/2008, S. 10

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