junge Welt zu ALBA und Freihandel

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»Nationale Regierungen gehen, die Armut bleibt«

Die Bolivarische Alternative für Amerika – ein neuer Weg, um Entwicklung zu garantieren. Ein Gespräch mit Luis Barbosa

Interview: Torge Löding, (Voces Nuestras), Managua
Luis Barbosa ist Vorsitzender des sandinistischen Gewerkschaftsdachverbands »José Benito Escobar« (CST-JBE) in Nicaragua

Auf dem Treffen in Managua »Sklaverei im 21. Jahrhundert« ging es unlängst auch um den Freihandel. Sie sehen in der »Bolivarischen Alternative für Amerika«, kurz ALBA, einen Ausweg. Warum?

Bei ALBA geht es darum, daß die Mitgliedsstaaten gleichwertig miteinander Handel treiben. Bislang haben sich diesem Bündnis Kuba, Nicaragua, Venezuela, Bolivien, Dominica und Barbados angeschlossen. Die Idee ist, daß es zwischen diesen Staaten einen fairen Austausch gibt, der nicht auf Zwang beruht. Der bestehenden Ungleichheit zwischen den Staaten der Region und der ungleichen Entwicklung soll so entgegengewirkt werden. Die ALBA beruht auf staatlichen und auf privaten Unternehmen, die sich diesen sozialen Zielen verpflichtet fühlen. Erwirtschaftete Gelder fließen über eine Entwicklungsbank in ländliche Aufbau- und Bildungsprogramme –etwa Alphabetisierungsprogramme und Universitäten – der Mitgliedsländer. Es geht auch darum, Alternativen zur Abhängigkeit vom Erdöl zu entwickeln. Außerdem ist die Struktur demokratisch, denn Gewerkschaften und soziale Bewegungen haben eine Stimme in den Gremien.

Ist das wirklich mehr als nur der bekannte Freihandel mit einer sozialen Beigabe?

Mit Freihandel hat das nichts zu tun. Denn bei den sogenannten Freihandelsabkommen wie NAFTA oder CAFTA werden transnationale Konzerne angelockt, weil die Regierungen der Region ihnen beste Ausbeutungsbedingungen garantieren. Die Konzerne rauben unseren Reichtum und eignen sich unsere Arbeitskraft zu Spottlöhnen an. Sie hinterlassen später nicht mehr als Krankheiten, Armut und ausgeblutete Länder.

Die ALBA wird auch im Zusammenhang mit einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts diskutiert. Sie sagen aber, daß auch dieses Bündnis auf Mischwirtschaft und nicht auf einer neuen sozialistischen Ökonomie beruht. Wie gehen die Gewerkschaften mit künftigen Klassenkonflikten um?

Im Wirtschaftsgefüge der ALBA haben auch wir Arbeitervertreter eine Mitkontrolle. Wir halten die Augen offen und schauen, wohin die Gewinne investiert werden. Sollte das in die falsche Richtung gehen, dann nutzen wir unseren Einfluß in den Gremien der ALBA, um das zu ändern. Wir sind natürlich auch darauf angewiesen, daß die Arbeiterklasse und die sozialen Bewegungen wachsam bleiben. Aber wir sehen in diesem Ansatz eine große Chance, unsere Belange auf einer höheren Ebene jenseits der Nationalstaatlichkeit durchzusetzen. Die nationalen Regierungen gehen, aber die Armut bleibt – das ist bisher unsere bittere Erfahrung. Die ALBA ist anders.

Nicaragua ist nicht nur ALBA-Mitgliedsstaat, es gehört zugleich auch dem neoliberalen Zentralamerikanischen Freihandelsabkommen (CAFTA) an, das von den USA dominiert wird. Wie paßt das zusammen?

CAFTA wurde unserem Land von der US-Regierung zu einer Zeit aufgezwungen, als in Nicaragua Präsident Enrique Bolaños an der Macht war, eine Marionette Washingtons. Die neue sandinistische Regierung von Daniel Ortega hat klar gesagt, daß sie mit so vielen Ländern wie möglich Handel treiben möchte. Voller Überzeugung ist sie ALBA beigetreten und prüft jetzt ein mögliches Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union. Unser Land muß dem Handel gegenüber offen sein. Aber das darf nicht bedeuten, daß wir unsere Ressourcen ausbeuten lassen. Mehr aus der Rubrik Schwerpunkt (14.04.2008)
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Mit Ausnahme Costa Ricas ist das von den USA dominierte Zentral­amerikanische Freihandelsabkommen (CAFTA) in ganz Lateinamerika als Instrument zur Durchsetzung neoliberaler Praktiken in Kraft. Die Folge sind Arbeitsverhältnisse, die der Sklaverei gleichen. Besonders betroffen sind Landarbeiter und Beschäftigte der sogenannten Maquilas, Zuliefererbetriebe für die US-Industrie, in denen Billiglöhne gezahlt werden.

Beispiel Guatemala: 95 Prozent der Unternehmer zahlen in diesem Land nicht den Mindestlohn von sechs US-Dollar am Tag, in einigen ländlichen Gebieten werden nur drei US-Dollar täglich gezahlt. Die Regelarbeitzeit von acht Stunden wird nicht eingehalten, Überstunden bleiben meist unbezahlt. Viele Landarbeiter werden morgens um vier Uhr mit Lastwagen abgeholt und erst um 20 Uhr nach Hause gebracht. Die langen Schichten übersteht oft nur, wer sich Drogen ins Essen mischt.

Ähnlich sieht es in Honduras aus. Rund 95 Prozent aller Maquila-Beschäftigten haben in diesem Land keinen ordentlichen Arbeitsvertrag. Jeder vierte hat kein Anrecht auf die eigentlich obligatorische Arbeitslosenversicherung. 90 Prozent aller Frauen müssen sich bei der Einstellung einem Schwangerschaftstest unterziehen. Von 82 Prozent der Beschäftigten wird verlangt, unbezahlte Überstunden zu leisten. Nur in 15 von 240 Maquilas gelang es Gewerkschaften zu gründen.

In den meisten Ländern Zentral­amerikas gibt es zwar eine Arbeitsgesetzgebung, die sich an den Statuten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen orientiert (mit Ausnahme von El Salvador). In der Praxis ist sie aber wertlos, weil Verstöße in den allerwenigsten Fällen geahndet werden.

Im Zusammenhang mit CAFTA wurden diese Gesetzgebung flexibilisiert: In Honduras trat 2007 eine Verordnung zur »Regionalisierung der Gehälter« in Kraft. Sie besagt, daß der Mindestlohn in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit nicht gezahlt werden muß. In Costa Rica wurde 2003 ein Gesetz gestoppt, das den Achstundentag als Regelarbeitszeit abschaffen sollte. Nun gibt es eine neue Gesetzesinitiative gleichen Inhalts.

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Torge Löding (Voces Nuestras), Managua

Veröffentlicht in Venezuela u.a.

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