Gilt die Marxsche Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen heute noch? (7)

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„Tatsächlich hat der Geschichtsverlauf gezeigt, daß gerade in Ländern mit sehr niedrigem Entwicklungsstand der Produktivkräfte, mit sehr niedrigem Lebensstandard und mit sehr geringen Demokratie- und Politikerfahrungen eine revolutionäre Situation entstehen kann und daß dies auch gesellschaftsverändernd wirksam zu werden vermag.“
Dieser Behauptung möchte ich eine von Lenin formulierte Gesetzmäßigkeit von Revolutionen entgegen halten: Die Revolutionen brechen dort aus, wo die Widersprüche am krassesten sind. Das hat „peripher“ mit Politikerfahrung etwas zu tun: Die herrschende Klasse hat keinen ausreichenden Apparat aufbauen können, ihre Macht zu stabilisieren. Für den Imperialismus ist das u.a. die massenweise Korrumpierung einer bedeutsamen Arbeiteraristokratie. Insofern ist die „Peripherie“-These irreführend, geht aber von einem realen Trend aus.
Etwas anderes stützt sie allerdings: Der Begriff der „Rentnerstaaten“, der bei den „Klassikern“ auftaucht: Die Ungleichgewichtigkeit des Imperialismus führt dazu, dass sehr breite Schichten in den „Siegermächten“ mit einem relativen Wohlstand gefügsam werden – eben auf Kosten der ökonomischen Halbkolonien. Somit ist die subjektive Erkenntnismöglichkeit des objektiven Ausgebeutetseins dort größer. Sie müssen radikaler sein.

Gibt es historische Gesetze, die für die Revolutionen gelten und keine Ausnahmen kennen? (...) Nein, solche Gesetze gibt es nicht« (LW 28, S. 236)
Aber Beschleunigung und Verzögrung sind sehr von solchen ›Zufälligkeiten‹ abhängig – unter denen auch der ›Zufall‹ des Charakters der Leute, die zuerst an der Spitze der Bewegung stehn, figuriert« (MEW 22, S. 542)
Marx spricht also von Beschleunigung und Verzögerung. Er denkt in historischen Dimensionen, die weit über einzelne Menschenleben hinausgehen. Er sieht HINTER den Ereignissen weiter den geschichtlichen Zug in Richtung Fortschritt fahren, selbst wenn die Lok den Berg wieder zurückrutscht, weil sie nicht genug Energie gebunkert hat. Es war nur ein Testlauf fürs nächste Mal.
Der Verlauf des einzelnen Ereignisses jedoch ist real abhängig davon, ob gerade ein Lenin, Stalin oder Gorbatschow den Lokführer spielt.

»Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind« (MEW 13, S. 9).
Wie krümelkackerisch ausgewählt. Was bedeutet denn untergehen?
Zum einen hätte man Marx, wenn er das so gesagt und gemeint hätte, entgegenhalten müssen, dass man nie nie sagen sollte.
Dann klingt das sehr nach den Bedingungen bürgerlicher Revolutionen, deren „materiellen Existenzbedingungen“ im Schoße des Feudalismus voll „ausgebrütet worden sind“. Aber mit den an sich siegreichen Revolutionen in den Niederlanden und Britannien ist der Feudalismus nicht untergegangen. Lord Nelson kam ein Sturm zur Hilfe…
„…alle Produktivkräfte…, für die sie weit genug ist“
Wissen wir nicht erst nachher, welche das gewesen sind?
Mit dem Blick des messenden Wissenschaftlers erkennen wir im Nachhinein, welche Produktivkräfte die Sklavenhalterordnung sprengten und welche feudal nicht zu meistern waren. Viel später feierte die Sklaverei sogar ein Nischen-Comeback.
Erkannten sich aber die Akteure als das Mögliche im Notwendigen?Sie handelten historisch und in der Tendenz waren sie erfolgreich, wenn ihr Handeln dem Entwicklungsstand der Pk gerecht wurde.
Wenn wir nach einem echten Plan handeln, werden wir überlegen sein! Der erwächst aus technischen Möglichkeiten, die zu Zeiten der Kommandoplanung einfach nicht da war.

Veröffentlicht in Theorie

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