Die Zukunft denken (16)

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Auch, wenn viele immer noch so nennen, gab es im „Realsozialismus“ keine echte Planwirtschaft. Vor allem bot es keine Möglichkeit für die Arbeiter eines bestimmten Betriebes, sich als „Volkseigentümer“ zu fühlen. Für sie kamen die schönen Zahlen als Plan-Anweisung von einer fernen höheren Stelle. Sie konnten sie nur erfüllen – oder praktisch eben nicht. Selbst wenn reale Wirtschaftsdemokratie gewollt gewesen wäre, so war sie doch nicht möglich, denn hätten die Arbeiter eines Betriebes ihren eigenen Plan für sich beschlossen, so hätten sie sich den Regeln des Marktes unterwerfen müssen, der auch nur wieder zu einem tot geborenen Möchtegern-Marktsozialismus führen hätte können.

Nein, so ganz trauten sich die Dozenten nicht, ihr Konzept zu Ende zu denken: Das, was sich damals Realsozialismus nannte, wir besser als Nominalsozialismus eingrenzen, war nicht nur kein Sozialismus, es konnte aus objektiven Gründen, nämlich den damals erreichten Entwicklungsständen der Produktivkräfte, noch gar keiner sein! Dann wäre man logisch zu dem Schluss gekommen, dass nicht der Sozialismus gescheitert ist, sondern nur ein Experiment, ihn auf ungeeigneten Fundamenten hochzuziehen. Oh, das muss Marxisten, Leninisten, Stalinisten wehtun! Der rote Oktober ist also entwicklungsgeschichtlich zu früh gekommen und schadet nun der Durchsetzung der eigenen, wahrhaft besseren Welt. (Aber was sind in der Weltgeschichte zwanzig Jahre – insofern ist es ein geschichtlicher Zufall, dass das „sozialistische Weltsystem“ schon zusammengebrochen war, als der Produktivkraft-Hebel da war, mit dem es sich wieder schwunghaft entfalten können. Dann hätten wir jetzt leichtere rechtliche Voraussetzungen, um die Politbüro-Hierarchie abzuätzen.)

Das abfällige Urteil über Cockshott hatte natürlich noch einen anderen Grund: Ihre für die meisten Menschen unvorstellbar die unmittelbare Demokratie beflügelnde Wirkung hat die Computertechnik (und auf ihr beruhende Informationstechnik) letztlich nur unter sozialistischen Herrschaftsbeziehungen – die wir nicht haben und nur bedingt gehabt haben. Also steht auf der einen Seite der Mathematiker, der Phantasie brauchte, auf der anderen die Zuhörerschaft, die phantasiearm nur den Mathematiker skeptisch sah. Unter Marktbedingungen provoziert es Spekulationsblasen und virtuelle Märkte, die der realen Produktionssphäre ihre Wertkomponenten zumindest zu entziehen versucht. Wenn dann Philosophen noch ältere Leute sind, die dem Neuen, das in ihren Augen erfahrungsgemäß nicht als neu verkleidetes Altes ist, sowieso skeptisch gegenüberstehen, dann ist das doch verständlich. Denn es geht hier um Potenz. Und wie bedauernswert ist der Mann mit Superpotenz, der an keine Frau herankommt. Er muss Hand an sich legen. Dass er danach viel um sich herumgekleckert hat, ist doch aber nicht die Schuld seiner Potenz, sondern der fehlenden Möglichkeit, sie zum mehrseitigen Vergnügen auszuleben.

Veröffentlicht in Zukunft denken

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