Hunger muss sein!!!

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In der jW vom Dienstag erschien der unten widergegebene Artikel von Rainer Balcerowiak, der durchaus bedenkenswerte Gedanken enthält, dem aber in seinem Grundtenor entschieden zu widersprechen ist, was ich in einem nachfolgenden Beitrag auch tun möchte. Allerdings zuerst dies:

13.01.2009 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Hunger muß nicht sein

Mit einer radikalen Wende der globalen Agrarpolitik könnte die Lebensmittelkrise gelöst werden. Dazu müssen auch hiesige Ernährungsgewohnheiten auf den Prüfstand

Von Rainer Balcerowiak
 
Es erscheint paradox: Obwohl die weltweite Agrarproduktion 2007 eine Steigerungsrate von 5,3 Prozent aufzuweisen hatte, registrierte die Welternährungsorganisation im gleichen Jahr 963 Millionen Menschen ohne ausreichenden Zugang zu Nahrung, was eine neue Höchstmarke bedeutete. Für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und die Zukunfssttiftung Landwirtschaft ist das aber keineswegs ein Widerspruch. Bei einer Pressekonferenz zur bevorstehenden Agrarmesse »Grüne Woche« in Berlin verwies der AbL-Vorsitzende und Grünen-Europaabgeordnete Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf auf den im Auftrag der UN und der Weltbank erstellten Weltagrarbericht, der in wenigen Tagen offiziell vorgestellt werden soll. Aus ihm gehe eindeutig hervor, daß die weltweiten Ernährungsprobleme weder auf fehlende Ressorcen und vermeintlich »ineffektive« Bewirtschaftung noch auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen seien. Es stehe außer Frage, so Baringdorf, daß der Hunger weltweit besiegt werden könnte, wenn es gelänge, eine »radikale Wende« durchzusetzen. Das würde in erster Linie bedeuten: Abkehr von exportorientierten Monokulturen in vom Hunger bedrohten Teilen der Welt und absolute Priorität für die Unterstützung von Kleinbauern zur Sicherung der Eigenversorgung und der Belieferung regionaler Märkte. Dadurch würde auch die Spekulation auf stark steigende Nahrungsmittelpreise zumindestens eingedämmt werden

Benedikt Haerlin von der Zukunftsstiftung verwies auf das Beispiel der Demokratischen Republik Kongo. Theoretisch könnte dieses Land die Lebensmittelversorgung Afrikas zu großen Teilen decken. Aktuell weist es dagegen die höchste Hungerrate der Welt auf und gilt bei den Agrarmultis als einer der wichtigsten Zukunftsstandorte für den Anbau von Energiepflanzen zur Agrospritproduktion und von Futtermitteln. Generell gelte sowohl in Entwicklungs- wie auch in Schwellenländen: Je größer der Anteil an Futter- und Energiepflanzen, desto schlechter die Ernährungssituation. Es komme daher nicht darauf an, mehr zu produzieren, sondern, wie Haerlin betonte, »gesunde Lebensmittel zu lokal erschwinglichen und gesellschaftlich wie ökologisch vertretbaren Preisen herzustellen, und zwar dort, wo sie benötigt werden«. Das bedeute auch, den »Heilsverkündigungen« der Chemiedünger-, Gentechnik- und Pestizidlobby entgegenzutreten. »Wunderversprechen«, wie flut- und dürreresistente Gentechnikpflanzen seien nichts als »Alchemistenlatain«, so Haerlin. Das gelte auch für den Hype um sogenannten Biosprit, der bei genauer Betrachtung eine »verheerende Energiebilanz« aufweise.

Auch bei der nationalen und europäischen Agrarpolitik sei eine umfassende Neuorientierung nötig, erklärte Baringdorf, der die Förderung von Agrarexporten aus der EU als »Wahnsinn« bezeichnete. Deutschland produziere in der Summe keinerlei Nahrungsmittelüberschüsse, sondern sei in hohem Maße von Importen abhängig. Vielfach würden diese Einfuhren hierzulande aber lediglich »veredelt«, z.B. in der Fleischproduktion, und anschließend zu hochsubventionierten Dumpingpreisen in die Märkte der Anbauländer gedrückt – mit katastrophalen Folgen für die dortigen Bauern. Der AbL-Chef geht aber davon aus, daß bei immer mehr deutschen Bauern allmählich ein »Bewußtseinswandel« stattfindet: weg vom Rohstofflieferanten, hin zum regional orientierten Lebensmittelproduzenten. Die bäuerliche Landwirtschaft sei kein von Nostalgie getragenes Auslaufmodell, sondern eine hochmoderne, ökologisch wie ökonomisch effiziente Form der Agrarproduktion, national wie global.

Sowohl Haerlin als auch Baringdorf machten deutlich, daß im Sinne einer global nachhaltigen Agrarwirtschaft auch die hiesigen Ernährungsgewohnheiten auf den Prüfstand gehören. So sei der hiesige Fleischkonsum – durchschnittlich 80 Kilo pro Jahr und in der Altersgruppe der 18- bis 50jährigen sogar 120 Kilo – kein Zeichen für Wohlstand, sondern für Fehlernährung und trage durch den immensen Bedarf an importierten Futtermitteln direkt zur weltweiten Ernährungsmisere bei, so Haerlin. Wer beim Discounter ein Kilo Fleisch für weniger als drei Euro sehe, müsse sich doch fragen, »ob dieses Tier überhaupt jemals gelebt hat«. Fleisch müsse qualitativ besser und somit »wertvoller werden«, was steigende Preise und sparsameren Verbrauch einschließe. Generell gelte es, in den Ländern der EU, wo fast ein Drittel aller verderblichen Lebensmittel im Müll landen und der Anteil an Fertiggerichten und Fastfood beständig ansteigt, ein anderes Bewußtsein für Ernährung zu schaffen.

Keinen guten Eindruck bei der AbL hinterließ bisher die neue Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Durch ihre Zustimmung zur Erhöhung der EU-Milchproduktionsquote habe sie den deutschen Milchbauern einen Bärendienst erwiesen, kritisierte Baringdorf. Die Mengenausweitung führe zu weiterer Überproduktion und somit weiterem Druck auf die Erzeugerpreise. Anhand der Logik dieser EU-Entscheidung könnten auch Autobauer wie Opel und Daimler trotz Absatzproblemen Sonderschichten statt Kurzarbeit anordnen. Anläßlich der Grünen Woche werde man aber das Angebot der Ministerin zu einem Gespräch zur Darlegung der AbL-Positionen nutzen, so Baringdorf.

Veröffentlicht in unsere Epoche

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