Das Bge und der Charakter der Krise

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Vortrag, gehalten auf einem bge-Symposium am 16.5.2009 in Herzogenrath

Selbstverständlich ist es zutreffend, dass die gegenwärtige Krise eine klassische Krise des
Kapitalismus ist: Überakkumulation gehört zu seinem Funktionieren wie die Jahreszeiten zu
unserem aktuellen Klima: Sie schlagen mal stärker, mal schwächer aus, aber sie bleiben nie
ganz weg. Überakkumulation ist auch empirisch ganz offensichtlich, nicht nur in der
Autoindustrie. Gleichzeitig ist die Krise eine Verwertungskrise und auch in diesem Sinne
klassisch: Es gibt schlicht zu viel Kapital, als dass es alles zur Durchschnittsprofitrate
investierbar wäre. Alle im herkömmlichen Sinne marxistisch Argumentierenden haben
insoweit also Recht.
Ebenfalls zutreffend sind alle Aussagen, die darauf hinweisen, dass die aktuelle Krise durch
das Zusammenfallen verschiedener Einzelkrisen gekennzeichnet ist: Die Hungerkrise ist
keinesfalls beendet, auch wenn sie aus den Schlagzeilen verschwunden ist, im Gegenteil wird
die Zahl der Hungernden steigen, obwohl für alle genügend Nahrung vorhanden ist. Die
Klima- und Umweltkrise wird sich verschärfen, wenn Automobil- und Chemiekonzerne
gerettet werden, statt die Krise zu nützen, um endlich zu umweltfreundlichen Konversionen
der Produktion in großem Maßstab überzugehen. Die soziale und materielle Krise in den
Lebensverhältnissen der Menschen ist jetzt schon für Millionen auf dem Globus tödlich und
wird es in dem Maße mehr, als absehbar ist, dass es die Masse der Armen und
GeringverdienerInnen sind, die die Kosten all der Rettungspakete tragen sollen. Die durch den
ebenso aggressiven wie sinnlosen „Krieg gegen den Terror" ausgelöste Krise friedlicher
Lebensverhältnisse wird durch die militärischen Pläne des neuen US-Präsidenten und der
Nato noch gesteigert werden. Schließlich ist die Krise der Demokratie und der politischen
Repräsentanz offensichtlich und kann in Deutschland gerade 2009, dem Jahr so vieler Wahlen,
bei denen es nichts zu wählen gibt, schlimme Folgen haben. Ein solches Zusammentreffen
führt per se schon zu gewaltigen, kaum beherrschbaren Auswirkungen; dass manche dieser
Krisen auch noch besonders schwer sind, verstärkt das nochmals.
Und dennoch ist damit noch nicht das ganze Phänomen erklärt. Vielmehr wird an der
aktuellen Krise deutlich, dass es objektive Grenzen der Kapitalakkumulation gibt. Das hat
etwas damit zu tun, dass im Kapitalismus der gesellschaftliche Reichtum in zweierlei Form
vorliegt, einmal als konkretes, nützliches Produkt, das gebraucht werden kann und
Bedürfnisse befriedigt, und einmal als rein quantitativer Geldbetrag. Dieser Geldausdruck des
gesellschaftlichen Reichtums benimmt sich wie das Zahlenreihen eben tun, er kann scheinbar
unbegrenzt gesteigert werden. Dabei hat sich allerdings in alle Krisen gezeigt, dass es sich bei
dieser Steigerung zuerst einmal um die Steigerung von Finanzansprüchen geht. Ob daraus
reale Reichtumsflüsse erwachsen, muss sich in der tatsächlichen Ökonomie erst noch
erweisen. Man kann das Problem leicht an konkreten Zahlen verdeutlichen. Im Jahr 1980
betrug das weltweite Bruttosozialprodukt 12,00 Bio US$ und das Finanzvermögen 10,1 Bio;
2006 lauteten die Zahlen 48,3 Bio BSP und 167 Bio Finanzvermögen. Damit diese Ansprüche
auch nur großenteils eingelöst werden können, müssen Bevölkerungsgruppen gefunden
werden, die sie bezahlen, wie das mit der Schuldenfalle für die Länder des Südens oder der
Senkung der Lohnquote in den Industrieländern passiert. Und dazu müssen
nichtkapitalistische Formen des Reichtums in Kapital verwandelt werden, wie es
beispielsweise bei der Inwertsetzung natürlicher Ressourcen oder der Privatisierung
öffentlichen Eigentums geschieht.
Im Gegensatz zu den Finanzansprüchen kann die kapitalistische Produktion nicht um ihrer
selbst Willen beliebig und unbegrenzt gesteigert werden kann. Produktion nur um der
Produktion Willen ist unmöglich. Produktion muss immer auch zur Befriedigung von
Bedürfnissen dienen. Und da gibt es zwei Begrenzungen. Erstens sind Bedürfnisse
grundsätzlich endlich, zweitens zählen im Kapitalismus nur die diejenigen Bedürfnisse, die
zahlungsfähig sind. Beides setzt dem unendlichen Wachstum schon aus ökonomischen
Gründen Grenzen, ohne ökologische und soziale Gesichtspunkte hier überhaupt zu
berücksichtigen.
Aber das sind natürlich keine starren Grenzen. Bedürfnisse können geweckt, gesteigert, neu
„erfunden" werden und das passiert ja auch tatsächlich andauernd. Und die Zahlungsfähigkeit
ist ebenfalls durch politische und ökonomische Maßnahmen steigerbar, den entsprechenden
Willen einmal vorausgesetzt. Genau darauf setzen ja auch alle „keynesianisch" orientierten
Krisenlösungsvorschläge wie etwa der Green New Deal und haben insoweit durchaus Recht.
Ebenfalls richtig ist, dass ein ökologischer Umbau des Kapitalismus nicht prinzipiell
undenkbar ist; es vertritt ihn zwar gegenwärtig niemand in den Elite ernsthaft, aber machbar
wäre er und der Kapitalismus würde damit auch eine Weile wieder funktionieren können. Ich
denke, dass es eine kurze Weile wäre, weil die Kapitalmassen derart gigantisch sind, aber es
wäre eine Weile. Durch solche Maßnahmen würden darüber hinaus Teile der beschriebenen
Ansprüche politisch entwertet, sozusagen gestrichen könnte. Damit würde man die
Verwertungsproblematik quantitativ entschärfen und als Sofortmaßnahmen schlagen auch
AntikapitalistInnen in attac und anderswo solche Schritte für aktuelles politisches Handeln
vor.
Das löst aber das prinzipielle Problem nicht, dass die Endlichkeit der Bedürfnisse eine
objektive Grenze für die Unendlichkeit der Anspruchsentstehung darstellt und dass die reale
Kapitalakkumulation schon seit einigen Jahrzehnten an diese Grenze stößt. So gesehen ist das
bge ebenfalls kein Krisenausweg. Es führt als Geldbetrag auch nur auf den kapitalistischen
Markt. Deshalb vertreten wir das bge ja auch in erster Linie als Richtungsforderung und nicht
als „Konjunkturprogramm", obwohl es das auf kurze Sicht ja auch ist. Auf lange Sicht
allerdings ist es eine Maßnahme, die den Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft mildert. Und
das ist die Voraussetzung dafür, dass die notwendigen Diskussionen um den Umbau der
Gesellschaft geführt werden können. Wir haben erstens die politische Macht nicht, eine
ökologische Trendwende per Verordnung oder „Ökodiktatur" herzustellen – und viele
AutorInnen gehen davon aus, dass sie nur durch eine solche zu bewerkstelligen wäre. Und
zweitens gibt es von denen, die die Macht dazu hätten, niemanden, der wirklich in diese
Richtung will. Aber auch wenn es den gäbe oder wenn wir die Macht dazu hätten, wäre es
nicht das, was wir wollen. Wir wollen eine selbstbestimmte, demokratische Entwicklung. Und
um die überhaupt denkbar zu machen, ist eine Gesellschaft, in der die Menschen ohne
materielle Existenzangst die notwendigen Diskussionen führen und die möglichen
experimentierenden, suchenden Schritte gehen können, hilfreich. Sie ist nicht die einzige
Möglichkeit dazu, Menschen können auch katastrophisch lernen, aber wünschenswerter wäre
es anders.
Der ökologische Umbau der Produktion ist aus Gründen der Endlichkeit der Erde und ihrer
Ressourcen zeitlich dringend, aber auch aus ökonomischen Gründen ist, wie oben dargelegt,
eine Umstellung unseres Wirtschaftens auf die konkreten Formen des Reichtums, auf die
Bedürfnisse und weg vom rein abstrakten Geldanspruch erforderlich. Ein wesentliches Mittel
dazu ist die Dekommodifizierung von immer mehr Bereichen unserer täglichen Reproduktion,
also ihre Lösung aus den kommerziellen Märkten und Befreiung aus der Warenform.
Öffentliche Infrastruktur, die für die BenutzerInnen kostenlos ist, eine umfassende
Gesundheitsversorgung für alle nach dem Bedarfsdeckungsprinzip, perspektivisch auch
kostenloses Wohnen oder Mobilität wären Schritte in eine solche Richtung. Sie würden den
Betrag, der zur Existenzsicherung noch in Geld ausgezahlt werden muss, niedriger machen
und wären damit so etwas wie ein nichtmonetäres bge. Eine solche Orientierung eröffnet
aktuell viele Bündnismöglichkeiten für die bge-Bewegung auch mit Gruppen und Personen,
die nicht für ein bge eintreten.
Auch wenn ich dafür plädiere, diese zu nützen und konkrete Verbesserungen der alltäglichen
Lebenssituation einzelner Bevölkerungsgruppen zu erkämpfen, heißt das nicht, dass sich für
uns die Forderung nach einem bge darauf beschränkt. Wenn wir das bge als
Richtungsforderung begreifen, dann bedeutet das, dass wir damit in eine bestimmte Richtung
gesellschaftlicher Veränderung zielen. Mit der Einführung eines Grundeinkommens kann hier
und jetzt begonnen werden. Wenn es aber so aufgestellt ist, wie ich es oben skizziert habe,
dass es die Kapitalmassen verringert, die profitable Anlage suchen, dass es mit zunehmender
Umstellung auf eine bedarfsorientierte Ökonomie gekoppelt ist, dass es den Zwang zum
Verkauf der Arbeitskraft reduziert, dann weist es über die bestehende Gesellschaft hinaus.
Wohin, dar über muss öffentlich und gemeinsam in der ganzen Gesellschaft diskutiert und
entschieden werden. Das bge ist kein Vehikel, mit dem wir heimlich den Kapitalismus
abschaffen oder den Sozialismus einführen wollen. Aber es eine Forderung, deren
Durchsetzung es leichter machen würde, über die Abschaffung des einen und die Etablierung
des anderen gesellschaftlich nachzudenken.

Veröffentlicht in Theorie

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S
<br /> Ein böses Erwachen gibt es allerdings, wenn an Stelle dessen das FDP-Bürgergeld wirklich kommt...<br /> Slov<br /> <br /> <br />
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