Das verkaufte Lachen

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An dem folgenden "Rotfuchs-Artikel" habe ich nur einen Fehler zu beanstanden: Sofern der Autor mit "wir" die Ex-DDR-Bürger meint, so haben wir es noch nie geschafft. Dieses eine Mal, wo wir eine Chance bekamen, wurde sie uns mit dem Gesang der Stalinorgeln geschenkt. Aber sonst gefällt mir der Text:

 

 

 

Als Baron Lefuet dem kleinen Timm Thaler die Fröhlichkeit stahl

Als Kind freute ich mich immer, wenn – zugegebenermaßen – im Westfernsehen die Serie von Timm Thaler und dem verkauften Lachen kam. Die Geschichten beruhten auf einem Roman von James Kruss. Timm verkaufte sein kindliches Lachen an den listigen Baron Lefuet, was – umgekehrt gelesen – Teufel heist. Als Gegenwert gewann er von nun an jede Wette. Der satanische Baron nutzte die Unschuld und Unwissenheit des kleinen Jungen aus, um sich selbst sympathischer erscheinen zu lassen, als er in Wirklichkeit ist. Er kann nun lachen, Timm aber nicht mehr. Erst jetzt merkt dieser, wie sehr ihm sein Lachen fehlt. Am Ende jagt er es dem Baron durch List wieder ab.

Die Fabel erinnert mich an den Zustand vieler Menschen heute. Wo ist deren Lachen geblieben? Welcher Teufel hat es ihnen abgejagt?

Erinnern wir uns, wie es in so mancher Mittagsrunde am Estisch im Kreise der Arbeitskollegen damals zuging. Es wurde viel gescherzt und uber die kleinen Unwagbarkeiten unseres DDR-Lebens gelacht. Wir lachten auch uber uns selber. Da waren die Witze: „Kennst Du den? Eine Frau geht ins Kaufhaus. Haben Sie keine Gardinen? Erkundigt sie sich in einer Abteilung. Der Verkaufer antwortet prompt: Keine Gardinen gibt es eine Etage hoher, hier gibt’s keine Sofas!“

Auch unsere Politiker bekamen ihr Fett ab.

Selten waren diese Witze bosartig. Eigentlich wurden nur kleine und grose Schwachen unserer Wirklichkeit auf deren Schultern geladen und humoristisch pointiert. Das Belacheln politischer Grosen durch das Volk ist wahrscheinlich so alt wie die Politik selbst. Ich behaupte: In der DDR war das ein echtes Stuck Alltagskultur.

Und heute? Ist denn schon jemandem aufgefallen, das es kaum noch politische Witze gibt? Wie viele kursieren eigentlich uber Merkel? Ulbricht- und Honecker-Witze gab es doch wie Sand am Meer! Ich kannte etliche.

Doch uber jene Politgrosen, welche ich seit nunmehr 20 Jahren ertragen mus, habe ich, so unglaublich das klingen mag, wahrend dieser ganzen Zeit keinen einzigen aus dem Volk heraus entstandenen und dann per Buschfunk in Windeseile verbreiteten Witz gehort! Ich kann mir nicht denken, das das als ein Zeichen ihrer Beliebtheit zu werten ist. Eher signalisiert es mir, das den Menschenwie Timm Thaler – die Frohlichkeit abhanden gekommen ist.

Die Sache mus indes ernst genommen werden.

Wenn den Burgern eines Landes nicht mehr danach zumute ist, uber ihre politischen Reprasentanten oder die Unbilden des Alltags zu schmunzeln, ist das ein Warnsignal.

Merkwurdig, das wir in der DDR – obwohl wir doch angeblich standig vor Angst zitterten – uber tausend Dinge ganz unbekummert lachen konnten. Und das, obwohl, wie seit 1989 permanent behauptet wird, jeder zweite Arbeitskollege, Nachbar oder Freund (bei Birthler, Knabe und Lengsfeld waren es bestimmt 120 Prozent!) ein Spitzel gewesen sein soll. Wir lachten, auch wenn wir geknechtet, unterdruckt, gebrochen und am Boden zerstort eine Apokalypse erlebten, wie sie Hieronymus Bosch niemals hatte malen konnen! Und heute, da wir endlich abgewickelt, strafberentet und in die Gluckseligkeit freigehartzt worden sind, wirken unsere Gesichter oft versteinert.

Manche konnen nur noch mit der Bierflasche in der Hand lachen oder, besser gesagt, lallen.

Vor 20 Jahren haben die meisten von uns wie Timm Thaler ganz unschuldig ihr Lachen an viele Barone Lefuet verkauft. Sie dachten sich nichts Schlimmes dabei und schenkten ihnen Vertrauen. Dafur bekamen sie Versandkataloge, schreiende Farben, aufdringliche Versprechungen, dumme Lugen und dreisten Betrug als Betaubungsmittel.

Zugegeben, auch ich war anfangs vom Glanz des Konsums geblendet.

Unterdessen ist das Leben vieler Menschen vom taglichen Kampf ums Dasein so belastet, das ihnen die Kraft und der Grund zum Lachen fehlen. Viele spuren wohl nun, das gleisende Warenangebote, schrille Werbeprospekte und „Wetten, das“-Sendungen das Wichtigste nicht zu ersetzen vermogen: soziale Geborgenheit. Gardinen bekommt man hierzulande uberall, doch Gerechtigkeit gibt es nicht einmal mehr hundert Etagen hoher. Die Barone grinsen mit dem uns durch List gestohlenen Lachen um so dreister: entweder arrogant wie Ackermann oder dummlich wie Jung und Bruderle.

Timm Thaler hat am Ende den Baron besiegt, obwohl der alle Register zu ziehen vermochte und er nur ein Kind war.

Wir sind freilich keine Kinder mehr, und wie unsere Geschichte ausgeht, ist noch offen. Die Barone haben sich bis an die Zahne bewaffnet und gehen im wortlichen Sinne uber Leichen. Doch anders als Timm, der allein war, sind wir viele und die Barone nur eine winzige Minderheit.

Uberdies wissen wir im Unterschied zu ihm, das wir gewinnen konnen, denn es ist hierzulande ja schon einmal gelungen und wirkt anderswo weiter, das man Barone, Kapitalisten und deren politische Handlanger zum Teufel gejagt hat. Deshalb haben sie trotz aller zur Schau gestellten Grosmannssucht schlotternde Angst vor der Zukunft. So verkriechen sie sich hinter Armeen, Uberwachungsnetzen und Bannmeilen. Die Diebe furchten die Bestohlenen.

Unsere Entschlossenheit nimmt zu, und vielleicht werden wir eines nicht allzu fernen Tages den Baronen im wirklichen Leben das gestohlene Lachen wieder entreisen konnen. Ich bin vom Jahrgang 1965 und voller Zuversicht.

 

 Ulrich Guhl, Berlin

Veröffentlicht in politische Literatur

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