Zum Tod eines Berliner Outsiders - Dieter Bernhardt

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Ja, ich bin ihm oft begegnet. Stur war er, direkt, querdenkend queer denkend. Eine Persönlichkeit, nicht stromlinienförmig geglättet. Anders. Jemand, wie man ihn auch braucht. Ein Gewürzkorn in der eigentümlichen Berline WASG. Einer, der ehrlich war. Nun buddeln wir diesen Artikel aus und fragen uns, dürfen wir uns mit einer solchen Welt abfinden?

 

„Ich habe keine Kraft mehr“
Ein schwer kranker Aktivist für soziale Mieten tötet sich selbst. Seine Freunde sehen darin auch eine Schuld der Politik

von Birgitt Eltzel

Berlin - Jacqueline Fürschke ist mit einem kleinen Strauß aus ihrem Blumenladen gekommen. Der liegt genau gegenüber dem Haus Akazienstraße 6. Im 3. Stock stellt sie die Blumen vor die Wohnungstür. Zu den anderen, die dort bereits niedergelegt wurden, weiße Rosen, rote Tulpen, Lilien. „Dieter Bernhardt“ steht auf dem Klingelschild. An der Tür hängt ein A 4-Blatt: „Ciao Dieter, wir vermissen Dich!“

Dieter Bernhardt hat seinem Leben durch eine Kohlenmonoxyd-Vergiftung in der Nacht zum 2. Mai selbst ein Ende gesetzt. An diesem Sonnabend erst wurde sein Tod entdeckt. Der frühere Pädagoge, seit Jahren Invaliden-Rentner, war schwer krank. Das Berliner Bündnis Sozialmieter gedenkt des 52-Jährigen auf seiner Website. Denn Bernhardt war auch ein Mietrechts-Aktivist. Dort heißt es, er habe den Freitod gewählt, „weil er die Gefühlskälte und Gleichgültigkeit nicht mehr ertragen konnte, mit der die politisch Verantwortlichen den Menschen in dieser Stadt begegnen, die vom Verlust ihrer Wohnungen und ihres Lebensumfelds bedroht sind“.

Erste Ermittlungen gehen von einem zweifelsfreien Suizid aus. Eine Obduktion wird nicht angeordnet. Die Todesumstände und die Auffindung seien eindeutig, heißt es: Bernhardt habe Aids, Hepatitis und stark geschwollene Lymphknoten gehabt. Er habe mehrere Abschiedsbriefe hinterlassen.

Dieter Bernhardt sei aber nicht an seiner heimtückischen Krankheit gestorben, sagt Horst Schröder (60), ein enger Freund: „Er war immer verzweifelter, weil die Politiker ihn so im Regen stehen ließen.“ Das habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Denn Dieter Bernhardt sei ein Kämpfer gewesen. Er habe sich in der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) engagiert, den Zusammenschluss mit der PDS zur Linkspartei aber nicht mitgemacht. Der gebürtige Leipziger, einst aus der DDR ausgebürgert, hatte mit den SED-Nachfolgern nichts am Hut.

Zuletzt kämpfte er auch im eigenen Haus. Das entstand im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus vor knapp 20 Jahren, der frühere Eigentümer ging in die Insolvenz, der neue erhöhte im November 2009 die Kaltmiete um rund 30 Prozent. Weitere Erhöhungen wurden angekündigt, auch in dem mit der Akazienstraße 6 verbundenen Gebäude Belziger Straße 13. Bernhardt, der viel Geld für Ärzte und Medikamente brauchte, sollte für seine 62 Quadratmeter große Wohnung nunmehr 665 Euro zahlen, mehr als ein Drittel seines Einkommens. Er weigerte sich gemeinsam mit anderen Mietern, malte Protestplakate und organisierte zu Ostern eine Straßenaktion. Er warnte öffentlich vor sozialer Entmischung in gefragten Wohngegenden. Und gemeinsam mit Aktivisten aus dem Kreuzberger Fanny-Hensel-Kiez war er dabei, eine bezirksübergreifende Initiative gegen die steigenden Sozialmieten zu gestalten. Denn nachdem der Senat 2003 die Anschlussförderung für ehemalige Sozialbauten in West-Berlin gestoppt hat, können die Vermieter die Kostenmiete verlangen. Rund 28 000 Sozialwohnungen sind betroffen. Die Kostenmiete beträgt durchschnittlich bis zu zwölf Euro pro Quadratmeter – Mietpreise, die sich Menschen mit niedrigen Einkommen nicht leisten können. Auch Bernhardt fürchtete sich davor, sein Zuhause zu verlieren, erzählt Renate Rudolf (64), eine langjährige Freundin .

„Die Politik hat kaum brauchbare Absicherungen und Rahmenbedingungen zum Schutz von MieterInnen geschaffen“, hatte Bernhardt im März in einem offenen Brief kritisiert. Die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) attackierte er vor zwei Wochen im Bauausschuss dafür. Klaus Wowereit, den er persönlich kannte, habe Bernhardt noch am 29. April eine Mail zum Thema geschickt, erzählt Horst Schröder. Antwort habe er nicht erhalten. Im Abschiedsbrief an den Freund schreibt Bernhardt: „Ich kann nicht mehr gegen den Strom schwimmen. Ich habe keine Kraft mehr.“

Zwei Tage nach seinem Tod bekamen die Mieter der Akazienstraße 6 und Belziger Straße 13 ein Schreiben eines Anwalts, jetzt die erhöhte Miete vorbehaltslos zu bezahlen, rückwirkend ab 1. Dezember 2009.

Berliner Zeitung, 11.05.2010

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