Gilt die Marxsche Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen heute noch?

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Die "junge Welt" ist das Risiko eingegangen. Mit Herbert Meißner hat sie einen Professor gefunden, der das entscheidende Gesetz menschlicher Entwicklung, das Kernstück des historischen Materialismusauf den kritischen Prüfstand legt.
Gerade dieser Zusammenhang zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen ist vielfach als eine Art Determinismus (miss)verstanden worden.
Nehmen wir den Meißner-Artikel erst einmal auseinander - seine Gliederung lässt dies nicht nur zu, sie provoziert das regelrecht:

09.05.2008 / Thema / Seite 10
Konflikt auf höherer Ebene

Der Widerspruch zwischen ökologischen Gefahren und generellen Menschheitsinteressen wird zum Hauptproblem

Von Herbert Meißner
Durch die kapitalistische Produktivkraftentwicklung wird nun die
Durch die kapitalistische Produktivkraftentwicklung wird nun die Existenzgrundlage der Menschheit bedroht (nach Regenfällen in Kolumbien, 22.2.2008)
Nach Karl Marx bestimmen die Produktivkräfte und die Produktionsverhältnisse in ihrer Einheit den Charakter der jeweiligen Produktionsweise. Im »Kommunistischen Manifest« heißt es: »Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung dieser Produktions- und Verkehrsmittel entsprachen (...) die feudalen Eigentumsverhältnisse den schon entwickelten Produktivkräften nicht mehr. Sie hemmten die Produktion, statt sie zu fördern. (...) Sie mußten gesprengt werden, sie wurden gesprengt« (MEW 4, S. 467).

Somit entwickelte Marx aus der Einheit von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ihren Widerspruch. Am eindrucksvollsten ist dies wohl formuliert im Vorwort von »Zur Kritik der politischen Ökonomie«: »Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen (...). Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein« (MEW 13, S. 9). Dieser Kerngedanke kehrt in vielen Schriften von Marx und Engels wieder. Aber beide warnen auch, wenn »die Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickeln, wie dies innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse überhaupt möglich ist, kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in den Perioden möglich, wo diese beiden Faktoren, die modernen Produktivkräfte und die bürgerlichen Produktionsformen, miteinander in Widerspruch geraten« (MEW 7, S. 440).

Aber damit entstehen sogleich die entscheidenden Fragen: Wann erreicht denn dieser Widerspruch zwischen Produktivkräften und Eigentumsverhältnissen seinen Höhepunkt, auf dem die Fesseln gesprengt werden müssen und können? Wann ist diese »gewisse Stufe« erreicht, auf der eine Epoche »sozialer Revolution« eintritt? Woran erkennt man die daraus folgende Möglichkeit und Notwendigkeit der sozialen Revolution?

Marx und Engels haben diesen Zeitpunkt im »Kommunistischen Manifest« so beschrieben: »Die Produktivkräfte, die ihr (der Bourgeoisie, H. M.) zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Zivilisation und der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, (...) sie gefährden die Existenz des bürgerlichen Eigentums« (MEW 4, S. 468). »Es tritt hiermit offen hervor, daß die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben« (MEW 4, S. 473) bzw. daß »die kapitalistische Produktionsweise ihrem Wesen nach über einen gewissen Punkt hinaus jede rationelle Verbeßrung ausschließt« (MEW 23, S. 506).

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S
Aber damit entstehen sogleich die entscheidenden Fragen: Wann erreicht denn dieser Widerspruch zwischen Produktivkräften und Eigentumsverhältnissen seinen Höhepunkt, auf dem die Fesseln gesprengt werden müssen und können? Wann ist diese »gewisse Stufe« erreicht, auf der eine Epoche »sozialer Revolution« eintritt? Woran erkennt man die daraus folgende Möglichkeit und Notwendigkeit der sozialen Revolution?<br /> In diesen Fragestellungen sind bereits Antworten enthalten, die ich so nicht uneingeschränkt gelten lassen möchte: Nämlich dass es EINEN Höhepunkt gibt, wo dann alles Revolution werden kann und muss.<br /> Wer sagt uns, dass es nicht mehrere solche Punkte gibt?<br /> Vergleichbar das Ganze mit einem Krisenzyklus auf immer höherem Niveau? Oder als Punkte, in denen jeweils mehrere Faktoren zusammentreffen (müssen)?<br /> Vielleicht war die Entstehung der vorimperialistischen Großproduktionsarbeiterklasse ein solcher Punkt, der 1870 durch die Kriegsereignisse in Frankreich einen relativen Höhepunkt erreicht hatte. Es folgte ein quantitatives Zurückziehen durch das mit dem Imperialismus erstmals massenweise eindringen des Opportunismus in die Arbeiterklasse, was ja ein Ergebnis staatsmonopolistischer Möglichkeiten zum Systemerhalt war. Es folgten Pk-Vernichtungen durch die Weltkriege und die nächsten Lücken. Die nächste Lücke brach auf mit dem Zusammenbruch des Weltkolonialsystems. Nun ist der Neokolonialismus als etwas viel Effektiveres "gefunden worden".<br /> Gehen wir davon aus, dass es für ALLE Neuerungen eine kapitalistische Interpretation gibt, bis entweder schnell oder schleichend die Erde für Menschen nicht mehr bewohnbar ist oderder Kapitalismus beseitigt wird.
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S
Vielleicht müssen wir die Frage der Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen ganz anders angehen. <br /> Meißner zitiert im Manifest richtig das Beispiel des notwendig gewordenen Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus: entsprachen (...) die feudalen Eigentumsverhältnisse den schon entwickelten Produktivkräften nicht mehr. Sie hemmten die Produktion, statt sie zu fördern. (...) Sie mußten gesprengt werden, sie wurden gesprengt« (MEW 4, S. 467).<br /> Das war zu dieser Zeit zweifelsfrei in erster Linie ein quantitativer Fall: Die neuen Maschinen brachten die Möglichkeit eine bis dahin unvorstellbare Menge von Produkten herzustellen. Technisch ging das. Aber es wurden eben "freie" Arbeitskräfte gebraucht.<br /> Nun stelle man sich das heutzutage vor!!! In so gut wie keiner Richtung ist eine solche Entwicklung überhaupt wünschenswert (wenn man einmal von dem regionalen Massenhunger absieht, den der imperiale Kapitalismus aber kaum anrührt, weil diesen Hungernden die Zahlungskraft fehlt.<br /> Fortschritte in immer neu konzipierter Unterhaltungsindustrie u.ä., Erneuerung um der Erneuerung, der Bedarfsproduktion wegen. <br /> Wenn dies als Sinn der Gesamtarbeit verstande wird, genauer: so lange wie..., dann wird die Herrschaft der Weltbourgeoisie erhalten bleiben, der Widerspruch Pk-Pv keine sprengende Qualität erreichen.<br /> Der Entwicklungsstand der Pk aber ermöglichte einen ganz anderen Qualitätssprung: Die Arbeitszeit könnte auf ein Bruchteil der jetzigen sinken und die Menschen könnten ihr Hauptaugenmerk auf die breite Entfaltung ihrer Persönlichkeit richten, eine Community der Lebenslust schaffen. Im umfassenden Sinne entzieht sich diese art allumfassende Lust nicht pornographisch zu Ware machen lässt.
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