Nagelprobe für den Marxismus (zu einem Einspruch ...)

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Inzwischen gibt es zur "Nagelprobe" einen Kommentar, der zur Klarstellung herausfordert:

"... Ich lese diese Serie mit viel Interesse und auch viel Zustimmung.

Hier möchte ich jetzt aber einhaken. Ich denke nicht, dass die mikroelektronische Revolution eine materielle Bedingung für eine demokratische Planung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses ist. So verstehe ich die Ausführung hier.
Die Möglichkeit der demokratischen Planung ergibt sich aus Dezentralisierung. Mit kommunaler und betrieblicher Selbstverwaltung lässt sich die Macht über die Fragen was, wie, wieviel und wo produziert wird auf die Massen übertragen. Arbeiterräte sind das dann. Deshalb heißt das Ganze ja auch Kommunismus.
In Venezuela kann man sowas aktuell in Ansätzen erkennen. Beispielsweise die Mercal-Läden, wo Grundbedarfsgüter vergünstigt angeboten werden. Die Entscheidung darüber welche Güter dort zu welchem Preis angeboten werden, wird von den Nachbarschaftsvereinigungen gefällt. Der Zentralstaat stellt nur die Mittel zur Durchsetzung bereit. Genau so etwas ist der Weg zum Kommunismus. Es entspricht Lenins Staat und Revolution ziemlich genau.
Sicherlich ließe sich auch das Internet zur Planung nutzen, ich halte es aber nicht für eine Notwendigkeit und bin auch etwas kritisch, ob es denn erstrebenswert wäre in diesem Punkt die persönliche Kommunikation durch eine digitale Kommunikation zu ersetzen."

... Erst einmal gefällt mir das Mitdenken und dass die Kritik freundschaflich vorwärtsdrängend ist, wie wir das unter Linken brauchen. Das Problem ist allerdings die Komplexität des Sachverhalts, die mitunter eines ganzen Buches bedürfte, um ihr gerecht zu werden. Gelegentlich rutschen dann Ausdrücke in den Text, die eine missverständliche Interpretation befördern. Hier ist das die Behauptung, ich hätte darstellen wollen, "... die persönliche Kommunikation [wäre] durch eine digitale Kommunikation zu ersetzen." Das wäre schlimm. Richtig müsste es heißen, dass die digitale den Rahmen der persönlichen extrem erweitern kann.

Das Beispiel klingt hoffentlich nicht zu blöd: Selbstverständlich gab und gibt es immer Menschen, deren Lebenspartnerschaften aus alltäglichen Begegnungen erwachsen. Solange keine anderen Möglichkeiten vorhanden waren, musste das reichen. Es wurde ergänzt durch familiäre (Zwangs)Vermittlungen und Anbahnungsinstitute, die also nach beschränkten Kriterien gegen Geld "geeignete" Kontakte von Suchenden herstellten. Wer würde heute behaupten wollen, (allein) per Internet würden Ehen geknüpft werden können?! Aber prinzipiell (!) existiert damit ein technisches Mittel (!!!), damit die "eigentümlichsten" Menschen mit ihren besonders speziellen Eigenheiten und Interessen zusammenfinden können. Das heißt noch nicht, dass ihnen das gelingt. Aber im Gegensatz zum persönlichen Kontaktbereich wird die Möglichkeit erstmals real.

Ähnlich (grins) ist dies im Wirtschaftsleben. Ich möchte nicht so verstanden werden, dass sozusagen das Ideal eine zentrale Weltplanung sein könnte. Der Boden einer vernünftigen Weltwirtschaft ist die Konzentration von Verantwortung auf den unteren Ebenen. Dezentralisierung und betriebliche Selbstverwaltung bedeuten aber Chaos ohne "Verknüpfung" mit einem Gesamtsystem. Es gibt einfach prinzipielle Schranken, an denen ein Einzelbetrieb eine vernünftige Lösung nicht erreichen kann. Er muss dann das produzieren, was ihm sichtbar zugängig ist an Material. (Das macht das Wirtschaften in Venezuela doppelt schwer, weil es dort ausreichend wirtschaftlich starke Kräfte gibt, die bestimmte Lösungen vorsätzlich sabotieren.)

Wir sind bei "zentraler Planung" immer noch im Schema zentralistischer Kommandos befangen, also dass jemand "Zentrales" vorgibt, wer was wovüf bekommt ... oder eben nicht. Ein freies, allgemein offenes Internet bietet aber eine neue Potenz: Prinzipiell kann weltweit jeder Handelnde die neuesten / besten Lösungen für jedes beliebige Problem nutzen - unbeschränkt, soweit es den geistigen Inhalt angeht, weitreichend, soweit es das i.w.S. das "Material" angeht. 

Arbeiterräte können heute noch keine Lösung sein, sondern nur ein wunderbares Feld zum Sammeln von Erfahrungen. Schließlich ist begreifbarer, wenn DIE eigene Firma durch den persönlichen Anteil gut arbeitet, als wenn man ALLE Firmen eines Staates "volkseigen" nennt, von denen der einzelne nichts verstehen kann.

Trotz allem muss das dezentrale Wirtschaften im Kommunismus durch eine "allgemeine Abstimmung" ergänzt werden. Dies wiederum ist erstmals durch ein Medium möglich, das alle Teilsystems zu einem Gesamtsystem verknüpfen KANN. (Ansonsten kämen wir wieder zum Kapitalismus der freien Konkurrenz, in dem freie Potentiale zum Feld mit der höchsten Gewinnerwartung strömen - und diese nicht verwirklichen, weil die anderen es ihnen ja gleich taten, sodass zeitversetzt eine "Übeproduktionskrise" auftritt.) 

 

Veröffentlicht in Debatte

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S
Lieber M8haber,<br /> wir gehen da voll konform. Weder Sozialismus oder gar Kommunismus sind unter dem Druck eines starken kapitalistischen Weltsystems möglich. Das hatte ich vorausgesetzt. Das sollte aber auch nicht<br /> "neu" sein. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es inzwischen auf dem Gebiet der Produktivkräfte neue Mittel gibt, die eine prinzipielle ökonomische Überlegenheit "kommunistischen" Wirtschaftens<br /> praktisch ermöglichten.<br /> Andererseits ist jedes "Mittel" ge- aber auch missbrauchbar ...<br /> lg<br /> Slov
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M
Erstmal danke für die Antwort und Klarstellung/genauere Ausführung. Ich denke wir kommen gut zusammen, dein Buch werde ich mir baldestmöglich anschaffen (-:<br /> <br /> Ich stimme zu, dass es zur Einrichtung einer postkapitalistischen Gesellschaftsformation eine zentrale Planung geben muss, die "von unten" organisiert wird. Das Internet ist da sicher ein<br /> zusätzliches Mittel um das zu erleichtern, das genutzt werden kann, soll und muss.<br /> Allerdings sehe ich nicht den Mangel an Kommunikationsmitteln als Ursache für eine undemokratische kommandierende zentrale Planung, wie beschrieben. Eine solche Planung wie es sie etwa in der UdSSR<br /> und der DDR gab und heute evtl. im Iran gibt. Stattdessen halte ich für entscheidend, dass Kapitalismus ein globales System ist. Eine Wirtschaft die eingebunden ist in den (kapitalistischen)<br /> Weltmarkt ist notwendigerweise profitorientiert und somit 1. undemokratisch und 2. wie ausgeführt auf Konkurrenz zwischen den Arbeitern in einem Betrieb und auch zwischen den Betrieben<br /> ausgerichtet. Dass also bspw. in der DDR Arbeiter, die die Norm übererfüllten besser bezahlt wurden, ist der SED aufgezwungen durch die Einbindung in den Weltmarkt, nicht durch fehlende<br /> Kommunikationsmittel oder gar begründet in einer wie auch immer gearteten „falschen“ Ideologie.<br /> Es ist schwierig aus dieser Einbindung in den globalen Kapitalismus raus zu kommen, gerade für Länder des Südens, wo ein Binnenmarkt (der am ehesten noch unabhängig vom globalen Kapitalismus ist)<br /> besonders schwach entwickelt ist. Um nochmal auf Venezuela zu kommen, wie soll der Erdölsektor gemeinorientiert eingerichtet werden, wenn doch durch den Export des Öls Gewinne erzielt werden müssen<br /> um u.a. Lebensmittel zu importieren? Dies ist wohl ein größeres und v.a. grundsätzlicheres Problem als die Sabotage.<br /> Worauf ich hinaus will, eine sozialistische oder kommunistische Strategie muss auf Umverteilung von Reichtum und Macht von der Bourgeoisie und dem Staat an die Massen ausgerichtet sein (Lenins<br /> Staat und Revolution würde ich in diesem Zusammenhang als die wichtigste theoretische Leitschrift bezeichnen). Eine zentrale Planung ist erst möglich wenn sich die weltweiten Kräfteverhältnisse<br /> ändern, was ja durch eine solche Umverteilung passiert. Vorher kann eine zentrale Planung nur (staats-)kapitalistisch und bürokratistisch sein (ein Zustand in dem "man ALLE Firmen eines Staates<br /> "volkseigen" nennt, von denen der einzelne nichts verstehen kann"), da ändert auch das Internet nichts dran.<br /> Ein anderer Aspekt des Internets ist, dass alle im Internet verfügbaren Güter de facto Gemeineigentum aller Internetuser sind. Ein sich aus der Entwicklung der Produktivkräfte „natürlich“<br /> ergebender Kommunismus. Das ist ein spannendes Faktum, würde aber hier zu weit führen. Der Kommentar ist jetzt schon eigentlich zu lang.<br /> <br /> <br /> PS. ich weiß gar nicht inwieweit dieser Blog zur Diskussion gedacht ist. Da du hier aber die Internetkommunikation bewirbst, nutze ich das mal dementsprechend...
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