Ein Grunddilemma linker Praxis oder warum es Lenin leichter hatte ...

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Eigentlich, objektiv, im innersten Kern ist Sozialismus / Kommunismus was fast alle Erdenbürger zutiefst wünschen müssten. Vorsichtiger ausgedrückt: Es ist der gesellschaftliche Rahmen, in dem sie sich ihre persönlichen Glücksvorstellungen insgesamt am wahrscheinlichsten erfüllen könnten. Trotzdem sorgt die Hegemonie der herrschenden Kreise (um nicht "Klasse" zu sagen) dafür, dass nur eine Minderheit in die Nähe dieser Erkenntnis vordringt.

 

Praktisch stößt man immer neu auf das Problem, dass "man" sich entscheiden muss, ein augenblicklich erreichbares Ziel gegen ein notwendiges längerfristiges Ziel abzuwägen. Entscheidet man sich immer klar für die erste Möglichkeit, kommt man früher oder später bewusst im Kapitalismus an, verwandelt sich in einen Arzt am Krankenbett eines grausigen Untoten. Entschiede man sich für die zweite Möglichkeit, wäre man von den Massen abhängig, die einem folgen und wie sie einem folgen. Mit deutscher Brille betrachtet, folgen zu wenige für einen realen Wandel. Man muss in Kauf nehmen, stets bei den Verlierern der Einzelgefechte zu stehen und sich am Dogma festhaltend, man gehöre letztlich zu den Siegern der Geschichte, man habe die Wahrheit zwar erkannt, aber die bösen anderen sehen es nicht, wird man stur und verbittert.

 

Nun hat die Arzt-Rolle eine eigene Dialektik: Ist man erfolgreich, so erhält man den Kapitalismus weiter gegen allgemeine Menschheitsinteressen am Leben. Auf der anderen Seite verbessert man in kleinen Schritten die konkreten Lebensbedingungen der konkreten Menschen - und ein Kommunist, der jemanden (bildlich) verhungern lässt, weil dieses Verhungern erst ihn änderungsbereit macht, der hat den SINN des Kommunismus für eine Phrase aufgegeben. Aber soll er nun einzelne kapitalismuserhaltende Maßnahmen mittragen? Wenn es ihm gelingt, damit deutlich zu machen, dass man ihm vertrauen kann und auch sein großes, allgemeines Ziel mit Menschlichkeit leichter geistig verbunden wird.

 

Im alten Russland hatten die Menschen, die "Sozialismus" haben wollten, wahrscheinlich nur einen Promilleanteil an der Bevölkerung. Aber eine echte Mehrheit wollte schlicht "Brot und Frieden". Genau das aber strebten die wenigen Mehrheitler (Bolschewiki) an. Hätten sie den Leuten etwa sagen sollen, Kapitalisten aus unserem und einer Masse anderer Länger, Zarenoffiziere und alles alte Geschmeiß lassen uns sowieso nicht in Frieden. Macht einfach weiter, was die von euch verlangen? Den Sozialismus / Kommunismus, den sich die wenigen russischen Kommunisten ausgemalt hatten, haben sie nie bekommen. Aber sie haben Schritte in die richtige Richtung gewagt. Und die Sowjetgeschichte sollte nun wirklich nicht nur auf "stalinistische Säuberungen" reduziert werden. Die kleinen Einzelschritte, die von Fall zu Fall ein individuelles Glück verfestigen, die konnten aus der richtigen Gesamtzielstellung auch schon gegangen werden. 

 

Also so naiv predigthaft das klingen mag: Klammern wir praktisch keine Chance aus, durch die wir dem Kommunismus ein Mikropunkt näher kommen.  Unterstellen wir nicht jedem, der nicht überall "Revolution!" brüllt, dass er unsere Sache verraten hätte. Versuchen wir so gut es geht, unsere Taktik an konkrete Tagesgegebenheiten anzupassen und dabei anzuerkennen, dass auch andere Recht haben können. Und immer mal wieder sollten wir auf den großen Kompass schauen, ob wir das "Endziel" nicht aus den Augen verloren haben.  Denn wenn nicht an diesem Wochenende ... ankommen müssen wir in einer Gesellschaftsordnung "Kommunismus". Schaffen wir das nämlich nicht, kann in nicht zu ferner Zukunft kein Mensch mehr sein kleines persönliches Glück verwirklichen.

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